26.09.2010

Mit 1 Euro am Tag überleben?

Die Bekämpfung der weltweiten Armut ist zweifellos eines der wichtigsten Ziele überhaupt. Vergangene Woche hat der UNO-Generalsekretär, Ban Ki Moon, einmal mehr auf die Bedeutung des Kampfes gegen Armut, Hunger und Krankheiten hingewisen. Im Rahmen einer UNO-Sonderkonferenz warnte er vor dem Nachlassen der Entwicklungshilfe angesichts der Wirtschaftskrise. Immer noch müssen nach Uno-Angaben etwa 1,4 Milliarden Menschen mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen, schreibt die NZZ. — Ökonomisch gesehen stellt sich die Frage, wie überhaupt möglich ist, dass so viele Menschen mit so wenig Geld leben können.

Die Antwort liegt im verwendeten Messkonzept begründet. Der Betrag, welcher einer Bevölkerungsgruppe pro Tag zur Verfügung steht, berechnet sich — vereinfacht gesagt — durch eine Division des Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder des Volkseinkommens (VE) eines Landes durch die Personenzahl sowie durch 365.

Leider führt dies zu irreführenden Ergebnissen. BIP und VE sind nämlich sehr unvollständige Masse für die Wirtschaftsleistung eines Landes. Sie erfassen zwei sehr wichtige Bereiche nicht. Einerseits wird der informelle Sektor (Schwarzmarkt, Schwarzarbeit etc.) nicht erfasst.

In vielen armen Ländern ist dieser Sektor aber sehr gross, sodass das BIP und das Einkommen pro Kopf viel kleiner erscheinen, als sie eigentlich sind. Viele Transaktionen gehen am Fiskus und der offiziellen Statistik vorbei. Oftmals dürfte das tatsächliche BIP somit wesentlich höher sein, als offiziell ausgewiesen. Selbst für Italien gibt es Schätzungen, dass das BIP ein Drittel höher wäre, wenn man die Schattenwirtschaft einbeziehen würde.

Ein zweiter Aspekt kommt hinzu. BIP und VE erfassen auch die Haushaltsarbeit und die unbezahlte Freiwilligenarbeit nicht. Gerade in der dritten Welt sind Selbsthilfe und Subsistenzwirtschaft aber weit verbreitet. Weil es bei der Selbstversorgung zu keiner Markttransaktion kommt, wird die tatsächliche Wirtschaftsleistung massiv unterschätzt und das erfasste BIP fällt zu gering aus.

In einer reinen Subsistenzwirtschaft beträgt das offiziell erfasste Einkommen genau null! Trotzdem müssen die Menschen nicht arm sein oder hungern. Schätzungen zeigen, dass in den Industrieländern das tatsächliche BIP ca. 60 bis 70% höher ausfällt, wenn man die Eigenproduktion der Haushalte und die unbezahlte Freiwilligenarbeit mit berücksichtigt.

Dass mehr als eine Milliarde Menschen mit weniger als einem Euro pro Tag auskommt, liegt also an der Berechnung und sagt relativ wenig darüber aus, ob diese Menschen tatsächlich arm sind oder Hunger leiden. — Zudem ist die Kaufkraft eines Euro von Land zu Land sehr verschieden. In Nairobi bekommt man dafür vielleicht einen halben Sack Reis, in Zürich aber nicht einmal einen Schokoriegel.

Bezüglich des Hungerproblems wäre eine andere Betrachtungsweise hilfreicher. Die richtige Frage lautet: Wie viel Zeit muss eine Person pro Tag arbeiten, um für sich (und seine Familie) bezüglich Kaloriengehalt und Ausgewogenheit ausreichende Nahrungsmittel erwirtschaften zu können? Dabei muss es unerheblich sein, ob die Nahrung aus Selbstversorgung stammt oder an einem statistisch erfassten Markt beschafft wird.

In ländlichen Gegenden wo die Natur ein üppiges, einfach zugängliches Angebot bereit hält, mag die Nahrungssicherheit durch die eigene Arbeitskraft problemlos sicher zu stellen sein. Und dies, ohne einen einzigen BIP-Euro zu verdienen.

Die Bekämpfung von Hunger und Armut ist prioritär. Sie sollte aber auf möglichst korrekten Daten beruhen, damit am richtigen Ort angesetzt werden kann.

Kommentare

[...] grosser informeller Sektor mit Schwarzmärken und Selbstversorgung besteht; vgl. meinen Blogeintrag hier), mag dies dennoch ein deutlicher Hinweis auf die positive Wirkung eines zunehmend globalisierten [...]

Hinweis auf ein für Sie interessantes Buch:

Ernst Wolff: “Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzuges”, Tectum Verlag, Marburg.

Leseprobe unter:

http://www.tectum-verlag.de/weltmacht-iwf.html

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