25.08.2010

Prozentrechnen – schwierig gemacht

Am 26. September stimmt die Schweiz über eine Revision der Arbeitslosenversicherung (ALV) ab. Aufgrund eines Schuldenbergs von 7 Milliarden Franken soll diese saniert werden. Heute Abend gab es im Kassensturz zu diesem Thema eine Lektion in Prozentrechnen.

Der Gewerkschaftsbund (SGB) hält die Revision für ungenügend und verlangt mehr “Solidarität”. Ökonomisch gesehen ist damit Umverteilung gemeint. Weil bislang nur Löhne bis 126′000 Franken pro Jahr versichert sind, zahlen auch Einkommensmillionäre nur 2′520 Fr. (= 2%) an ALV-Beiträgen. Der SGB hat ausgerechnet, dass dies bei Spitzenverdiener Brady Dougan von der Crédit Suisse lediglich 0.005 Prozent der Lohnsumme ausmacht (weitere Beispiele hier). Das klingt nach sehr wenig.

Thomas Daum vom Arbeitgeberverband hält dagegen. Er hat ausgerechnet, dass all jene Lohnbezüger welche mehr als 126′000 Fr. verdienen drei mal mehr Beiträge in die ALV einzahlen, als sie Auszahlungen erhalten. Damit leisten die Besserverdienenden einen Solidaritätsbeitrag von 200 Prozent.

Wer hat nun recht? Selbstverständlich beide. Wie immer ist es eine Frage der Perspektive — auch beim Prozentrechnen kommt es nämlich darauf an, welchen Wert man als Prozentsatz welcher Basis ausdrückt. Je nach dem kommt man auf mickrige Promillewerte oder mehrere hundert Prozente.

Man sieht, durch Zahlen — insbesondere Prozentzahlen — lässt sich nicht unbedingt ein objektiveres Bild erreichen. Schliesslich kommt man nicht um die Frage herum, ob die ALV gemäss den Vorstellungen des SGB verstärkt in Richtung einer auf Umverteilung ausgerichteten Sozialversicherung ausgebaut werden soll, oder ob die ALV ihren Charakter als “Zwangsversicherung für Löhne bis 126′000 Fr.” behalten soll. Immerhin sieht der bundesrätliche Entwurf vor, dass neu auf dem Lohnanteil zwischen 126′000 und 315′000 Franken ein “Solidaritätsprozent” erhoben wird. Und zwar ohne Anspruch auf zusätzliche Leistungen.

Woher kommt aber unser Hang zu Prozentzahlen?

Wie obiges Beispiel zeigt, lassen sie sich bestens manipulieren und damit gezielt für eigene Zwecke einsetzen. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, wie der Konstruktivist und Psychoanalytiker Paul Watzlawick einmal in einer Vorlesung an folgendem Experiment verdeutlichte.

Eine Gruppe von Probanden erhielt den Auftrag, für 30 $ einen ganz bestimmten Taschenrechner in einem Laden zu kaufen. Im Laden sagte der Verkäufer (der Teil des Experiments war) den Probanden “im Vertrauen”, dass der gleiche Rechner in einer anderen Filliale für nur 20 $ erhältlich sei. Für einen Umweg von 5 Meilen konnten die Probanden also 10 $ für sich behalten und den Auftrag trotzdem erfüllen.

Eine andere Gruppe von Probanden erhielt den Auftrag, für 150 $ eine bestimmte Kaffeemaschine zu kaufen. Im Laden sagte der Verkäufer, dass es die selbe Maschine in einer 5 Meilen entfernten Filliale für nur 140 $ gibt.

Beide Gruppen erhielten das Geld (30 $ bzw. 150 $) vom Experimentator in bar ausbezahlt und konnten damit rechnen, eine allfällige Ersparnis für sich zu behalten.

Frage: In welcher der beiden Gruppen gab es mehr Probanden, die den Umweg von 5 Meilen auf sich nahmen, um 10 $ für sich zu ergattern? Man beachte, dass Ertrag und Aufwand in beiden Fällen identisch sind. Was sich einzig unterscheidet, ist die prozentuale Ersparnis.

Wie sich leicht vermuten lässt, gab es in der ersten Gruppe sehr viel mehr Leute, die den Umweg auf sich nahmen. Beim Taschenrechner lässt sich nämlich ein Drittel des Kaufpreises (33.3%) sparen, bei der Kaffeemaschine aber nur 6.7%.

Es wird deutlich, dass es uns leichter fällt, in relativen Grössen zu denken und wir uns auch entsprechend verhalten. Dies scheint eine Grundeigenschaft menschlichen Denkens und Handelns zu sein. Auch die Primatenforscherin Laurie Santos betont dieses Phänomen in ihrem Vortrag, der hier zu finden ist.

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