1.08.2010

Die Schweiz erweitern

Die Schweiz hat in den letzten Wochen über das Ende des bilateralen Wegs mit der EU und mögliche Auswege diskutiert. Zum Nationalfeiertag sollte für einmal etwas grosszügiger gedacht werden.

Statt dem EWR oder gar der EU beizutreten, sollten wir einfach den Spiess umdrehen und die Schweiz erweitern.

Gemäss einer neuen Umfrage der Weltwoche ist unsere direkte Demokratie ein derartiger Exportschlager, dass sich in Baden-Württemberg, Vorarlberg sowie den Regionen Savoyen/Hochsavoyen und Como/Varese “eine konstante Mehrheit für einen Anschluss zur Eidgenossenschaft ausspricht“.  — Ja, das sommerliche Nachrichtenloch will gefüllt sein.

Wie könnte nun aber eine helvetische Erweiterung aussehen?

Zunächst könnten wir die Romandie um den französischen Jura sowie Savoyen erweitern. Das würde das Mouvement Franche-Comté extrem freuen. Und schliesslich wurde Savoyen von den Franzosen 1860 einfach so annektiert, was wir halt wieder rückgängig machen. Für die Romands ist der Vorteil, dass sie beim Ständemehr nicht mehr ständig überstimmt werden. (Gilt das als Kalauer?)

Die Schweiz würde dann folgendermassen aussehen:

Tatsächlich gibt es Bestrebungen, die Schweiz um die Kantone Savoie und Franche-Comté zu erweitern. Wer’s nicht glaubt, schaut hier. Es gibt auch schon eine entsprechende Autonummer.

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Als nächstes ist der Süden an der Reihe. Aus Sicht der Tessiner sollte man schon längst die italienischsprachige Minderheit stärken. Geeignet wäre dafür eine Erweiterung um die Region Insubrien.

Insubrien? Ja, das gibt’s bzw. gab es. Ist aber schon eine Weile her, 1395-1796 unter der Leitung des Herzog von Mailand.

Man sieht, dass unser Tessin dabei war. Auch heute gibt es tatsächlich eine Bewegung namens Domà Nunch (Site Dragh Bloeu, blauer Drache), die sich für Insubrien und deren Wiedervereinigung mit der Schweiz einsetzt.

Wie schön, dann hätten auch wir unsere Wiedervereinigung! Lago Maggiore, Lago di Como, Lago d’Orta — alles würde uns gehören. Nur leider reicht die Schweiz immer noch nicht bis ans Meer…

Die angestrebte Confederazione Elvetico-Insubre hätte dereinst 15.7 Millionen Einwohner und wäre die neunt grösse Wirtschaftsmacht in Europa (meint jedenfalls Dragh Bloeu). Das ergäbe dann ein ganz neues Bild:

Confederazione Elvetico-Insubre

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Am weitesten geht schliesslich ein Vorstoss der SVP. Wer hätte gedacht, dass diese Partei imperialistisch angehauchtes Gedankengut trägt? Uns rät sie ab, der EU beizutreten, aber die Anderen sollen uns beitreten?

Jedenfalls hat der jurassische SVP-Nationalrat Dominique Baettig die Motion Nr. 10.3215 mit dem Titel “Erleichterte Integration grenznaher Regionen als neue Schweizer Kantone” eingereicht. 26 Fraktionskollegen haben tatsächlich mit unterschrieben. Der Tagesanzeiger hat darüber berichtet und eine nette Karte gezeichnet.

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Wenn alle diese Gebiete zu uns kämen, hätten wir einen rechten Flickenteppich. Und zudem massenhaft Ausländer, für die es massive Integrationsprogramme bräuchte. Doch wären wir dann so gross, dass die EU früher oder später ein Aufnahmegesuch stellen würde. Bravo SVP — das ist echt schweizerische Europapolitik!
Stutzig macht mich nur, dass einzig die Liechtensteiner nicht auf der Liste der Übernahmekandidaten figurieren. Was hat das zu bedeuten?

Leider hat der Bundesrat kein Gehör für solche Anliegen. Er hat die Motion Baettig im Mai 2010 folgendermassen beantwortet.

Eine Revision der Bundesverfassung, die den an unseren Staat angrenzenden Regionen die Möglichkeit geben würde, sich der Schweizerischen Eidgenossenschaft anzuschliessen, würde einen unfreundlichen politischen Akt darstellen, den die Nachbarstaaten zu Recht als Provokation auffassen könnten. Sie würde demnach die Beziehungen zu den betroffenen Staaten in schwerwiegender Weise beeinträchtigen.

Schade, schade. — Bliebe schliesslich noch der Vorschlag von Herrn Gaddafi. Dieser schwimmt etwas gegen den Strom und will die Schweiz lieber auf die Nachbarländer aufteilen…


Das wäre dann allerdings richtig schade… Wallis und Graubünden würden geteilt. Österreich bekäme nichts ab. Lassen wir’s also lieber wie es ist, oder?

Kommentare

Das Szenario einer Eidgenossenschaft mit gegen 40 Mio. Einwohner, welche die produktiveren Gegenden den Nachbarländern abknöpfen kann, finde ich sehr amüsant. Doch vor lauter Übermut vergisst man oft, dass auch diese Integration zum Aufeinanderprallen von verschiedenen Kulturen führen würde…

Wir sind so schon ein Staat mit mangelnder Indentität. Bevor wir uns mit noch mehr französisch und italienischsprachigen Gebieten “Bereichern”, suchen wir doch nach realisierbaren Alternativen. Zum Beispiel der Anschluss des Vorarlbergs an die Schweiz, und den Zusammenschluss der Romandie mit Savoyen, und des Tessins mit der Lombardei.

Das Thema bleibt “heiss”. Heute erschien im St.Galler Tagblatt folgender Beitrag:

Benvenuti, Kanton Veltlin

Noch immer trauern die Bündner dem Veltlin nach. Anno 1797 schlug Napoleon das norditalienische Tal mit dem süffigen Wein der neugegründeten Cisalpinischen Republik zu. Durch den Wiener Kongress wurde es 1815 faktisch österreichisch, seit 1861 sind Chiavenna, Bormio und Co. italienisch.

Doch das hätte sich jetzt fast geändert: Im Zuge der Sparprogramme wollte Silvio Berlusconi zunächst alle Provinzen mit weniger als 300 000 Einwohner abschaffen. Die 183 000 Veltliner hätten dadurch ihre territoriale Eigenständigkeit verloren. «Nicht mit uns!», drohte Regionalpräsident Massimo Sertori von der Lega Nord und kündigte eine Abstimmung über den Beitritt seines Tales zur Schweiz an. Die Drohung wirkte: So sollen alle Provinzen mit weniger als 300′000 Einwohnern der Abschaffung entgehen, wenn sie mindestens 3000 km² gross sind. Schade für die Schweiz: Das Veltlin ist 3211 km² gross. (ssd)

Quelle: Tagblatt Online, 16. August 2011, 01:04:30

Bei meinem kürzlichen Besuch im Südtirol hatte ich übrigens stark den Eindruck, dass diese Region mit “Rom” wenig am Hut hat und ganz gerne zur Schweiz gehören würde. Die Integrationsprobleme wären eher gring, da die meisten Leute deutsch sprechen und die Gegend ohnehin bereits fest in der Hand von deutschsprachigen Touristen ist.

Selbst Kanzlerin Merkel hat ihren Urlaub hier verbracht. Gleichentags bin ich abgereist…

Das Veltlin gehörte zwar einst zur Schweiz doch daraus jetzt eine Automatische Wiedereingliederung in die Schweiz anzustreben ist aus Sprachethnischer Sicht völlig falsch, und würde nur zusätzliche Probleme schaffen. Das Südtirol hingegen wäre natürlicher Bestandteil Österreichs, ein Anschluss an die Schweiz steht somit nicht zur Debatte. Zur Schweiz passen würde es allemal besser als das Veltlin.

@O.Rölli, 17.8.2011
Da muss ich meinen Heimatkanton nun aber verteidigen. Graubünden ist nicht nur der grösste und schönste Kanton, er ist bereits dreisprachig.
Wer die bündner Südtäler kennt, schon einmal in Poschiavo war oder (wie ich) einen Klassenlehrer namens Aldo Godenzi aus eben diesem Ort hatte, der weiss dass Bündner auch italienisch sprechen.
Die Entwicklung und Verbreitung der veltliner Weine liegt zudem massgeblich in den Händen der bündner Weinhändler, wie Triacca, Plozza, Cottinelli und Zanolari.
Das Veltlin passt also perfekt zu Graubünden — und damit zur Schweiz…

Mag sein das dies der Wahrheit entspricht wenn man die viersprachige Schweiz als unumstössliches Dogma betrachtet. Dogmen aber, vor allen Dingen multiethnischer Art, sind da sie zu brechen.

wenn es wirklich passieren wird ,und was denn ?

Die Frage ist falsch gestellt.Wo Menschen sich Aufgrund ihrer Sprache und Kultur staatlich organisieren, entstehen auch keine Sprachethnischen Gegensätze.

Man soll keine Riesengebilde aufnehmen. Wenn schon, kleine Regionen/Kantone. So bleiben auch die Wege innerhalb der neuen Kantone kurz.

Haute-Savoie, Valtellina und Vorarlberg wären drei Interessante Kantone für die Schweiz.

Wenn Regionen in Baden-Württemberg interessiert sind, dann sollte nicht der ganze BaWü der Schweiz beitreten, sondern die Regionen/Landkreise. Z.B. Freiburg im Breisgau als Breisgau

Entscheidend auch für die Nachhaltigkeit ist nicht die geographische Ausdehnung einer Region die beitreten,oder aufgenommen werden soll, sondern einzig deren Sprachethnischer Hintergrund. So würde sich das Vorarlberg hervorragend in die Schweiz einfügen.

@rölli : Sie fixieren sich zu sehr auf deutschsprachige Gebiete. Natürlich wäre Vorarlberg Kandidat Nr.1, allein weil – ich lebe ja an der Grenze – gleiche Mentalität wie ennet des Jordans… Ginge aber nur, wenn FR- und IT-Gebiete überproportional mehr.
Veltin wäre Nr. 2 wegen den sehr engen Verbindungen zu GR. Varese und Como ist Zustimmung auch bei 75%, leider mit 1.5Mio zu gross – Beschränkung auf nördl. Teile, nicht südl. als Sesto Calende – Como. Nicht zu vergessen die Provinz VCO mit Domodossola (Südrampe Simplon)
In der Westschweiz Pay de Gex und Savoyen oder wenigstens das Chablais…

Wieweit sich die Romandie oder das Tessin mit sprachgleichen Regionen erweitern ist deren Sache, wäre jedoch eine logische Folgerung solcher Entwicklungen die in einer Sezession enden könnten, und die Schweiz in einem völlig neuen, keineswegs aber negativen Licht erscheinen lassen würde. Für die Deutschschweiz jedenfalls. macht nur ein Zusammenschluss Sprachethnischer Verwandten Sinn.

Da bin ich aber erstaunt und sehr angetan von der Idee das angrenzende Regionen der Schweiz beitreten. Ich bin auf diesen Artikel gestossen durch eine Aussage im Swissinfo (für Auslandschweizer) Aug. 2017 und sehe das seit 2010 hier Meinungen ausgetauscht warden.
Meiner Meinung nach sollte es kein Problem sein wenn angrenzende Regionen abstimmen und Italien, Frankreich, Lichtenstein, Österreich und Deutschland den Regionen den “Freipass” geben würde sich der Schweiz anzuschliessen. Ich würde alle angrenzenden Regionen die sich der Schweiz anschliessen wollten mit offenen Armen empfangen. Mehr Demokratie und Stabilität würde der ganzen Welt zeigen wie man in Frieden miteinander leben kann. Es ist gut zu Diskutieren und Ideen zu “Pflanzen” wo jeder seiner eigenen Fantasie seinen lauf geben kann und wer weiss, wenn sich genügend “Spinner” finden wird aus einem Traum … Wircklichket. Der politische Willen in der Schweiz so etwas in Realität umzusetzen wird wohl Jahrzente benötigen und Führungskräfte mit Weitsicht, was doch eher rar ist da viele auf das jetzt und hier und den Status den sie inne haben behalten möchten und nicht als “Spinner” einer Partei zulasten fallen.

Dann gebe es einfach ein Schweiz mit noch mehr lateinischen Gebieten und dementsprechend mehr Problemen. Denn diese Regionen um Como oder Savoyen hinken dem Tessin oder der Romandie wirtschaftlich hinterher, hier wären wir mit Südbaden oder dem Vorarlberg besser bedient.

Sollen wir uns denn mit noch mehr Lateinischen Regionen “beglücken” und deren wirtschaftlichen Schwierigkeiten gleich mit übernehmen? Probleme welche wir mit dem Vorarlberg oder Südbaden so jedenfalls nicht hätten.

Für mich läge – wenn schon, denn schon – gerade der Sinn einer wie auch immer gearteten “Erweiterung” der Schweiz eben genau darin, den Wohlstand und den Frieden zu fördern… und vielleicht sogar die direkte Demokratie zu stärken. – Womit die Schweiz “besser bedient” wäre kann ja nicht die einzige Perspektive sein. Gerade für die “Beitrittskandidaten” müsste es auch klare Vorteile geben.
Hinweis: Ich schreibe dies alles in der Möglichkeitsform, weil ich es für ein grundsätzlich spannendes, aber eher unrealistisches Gedankenexperiment halte, basierend auf der erwähnten Motion von D. Baettig (10.3215) von 2010.

Mit dem Wohlstand kleistert man alle Probleme zu, oder wieweit würde es ohne diesen noch eine Viersprachige Schweiz geben?

Anmerkung: Finde dieses Forum eine absolute Notwendigkeit. Wo sonst kann man die mehrsprachige Schweiz öffentlich in Frage stellen. Tut der demokratischen Meinungsbildung nur gut!

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