26.07.2010

St.Gallen plant Spitalinvestitionen in Milliardenhöhe

Gesund ist teuer. Unter diesem Titel berichtet das St.Galler Tagblatt von den Plänen des St.Galler Gesundheitsdepartements, für Investitionen im Spitalbereich 1‘200 Millionen Franken auszugeben. Diese für einen einzelnen Kanton enorme Summe wirft – gesundheitsökonomisch gesehen – etliche Fragen auf.

Bislang zählte der Kanton St.Gallen zu den kostengünstigsten im Lande. Ein Grund dafür ist, dass die ostschweizer Bevölkerung Gesundheitsleistungen vergleichsweise zurückhaltend nachfragt und die Preise eher günstig sind. Dies hat die Studie Schleiniger / Slembeck (2007) gezeigt. Im Spitalbereich hat hierzu beigetragen, dass Investitionen in der Vergangenheit mit Augenmass getätigt wurden. Von einem eigentlichen Baumoratorium kann allerdings nicht gesprochen werden.

Umfangreiche Investitionstätigkeit
So weist die kantonale Investitionsrechnung für das Jahr 2008 Ausgaben von 22 Millionen CHF und für das Jahr 2009 von 28.5 Millionen CHF aus. Das ist wesentlich mehr, als ein „rascher Pinselanstrich“ kosten würde, wie das Tagblatt zitiert. Stattdessen wurde bereits an verschiedenen Standorten umgebaut, renoviert, erweitert und neu gebaut. So etwa am Kantonsspital St.Gallen, den psychiatrischen Kliniken Wil und Pfäfers sowie den Spitälern Walenstadt und Lindt.

Gemäss kantonalem Investitionsplan kommen — neben weiteren Ausgaben in den genannten Häusern — noch folgende Standorte in den Jahren 2010 bis 2013 hinzu: Spital Altstätten (Bettenhaus), Spital Grabs (Erneuerung / Erweiterung), Spitäler Uznach und Wattwil (Sanierungen). Hierfür sind bereits insgesamt 212 Millionen CHF budgetiert. Weil gemäss der “Spitalstrategie 2012″ längerfristig auch noch in die Spitäler Wil, Linth und Rorschach sowie ins Bürger- und ins Kinderspital investiert wird, bedeutet dies, dass sämtliche Häuser im Kanton einbezogen sein werden – wodurch sich der geschätzte Bedarf von 1.2 Milliarden CHF ergibt; jedenfalls gemäss den Plänen der Gesundheitsdirektion und sofern der Kantonsrat nicht einschreitet. Ökonomisch scheint es klar, dass der Kanton seine heute noch vergleichsweise kostengünstige Position kaum wird halten können.

Gesundheitsökonomische Aspekte
Erstens fällt auf, dass nach dem Giesskannenprinzip investiert werden soll. Es ist absehbar, dass sich jedes einzelne Projekt jeweils gut begründen lässt. Bereits wird die zuständige Regierungsrätin mit der pauschalen Aussage zitiert, dass „jeder Franken, der jetzt investiert wird, gerechtfertigt und notwendig“ sei. Die von Gesundheitsökonomen seit langem erhobene Forderung einer Reduktion der Standorte wird ignoriert. Schweizweit scheuen die Gesundheitsdirektoren Spitalschliessungen wie der Teufel das Weihwasser. St.Gallen ist hier keine Ausnahme, zumal der Vorgänger der aktuellen Gesundheitsdirektorin allein schon aufgrund von Schliessungsabsichten nicht im Amt bestätigt wurde.

Dabei geht gerne vergessen, dass eine Konzentration auf weniger Häuser sowohl in medizinischer als auch in ökonomischer Hinsicht erhebliche Vorteile aufweist. Insbesondere sind es die höheren Fallzahlen pro Eingriff, welche die medizinische Qualität durch vermehrte Routine und Erfahrung der Ärzteteams steigern. Zugleich lassen sich durch zentralere Organisation und Führung ökonomische Skalenerträge, d.h. Kosteneinsparungen realisieren. Es wäre Aufgabe der Politik, dies der Bevölkerung zu vermitteln.

Heute scheinen nämlich viele Bürger der Ansicht zu sein, dass die reine Nähe zu einem Spital an sich vorteilhaft sei. Deshalb halten sie vehement an „ihrem“ Spital fest – wie dies das Beispiel des Spitals Flawil vor einigen Jahren zeigte. Dabei wird allerdings davon ausgegangen, dass alle Spitäler qualitativ gleichwertig sind. Wüssten die Bürger um die effektive Qualität ihres Kleinspitals, würden sie möglicherweise weniger stark daran festhalten.

Wenn etwa bekannt ist, dass die bei Frau Müller anstehende Knieoperation im nächstgelegenen Kleinspital nur drei mal pro Jahr durchgeführt wird, während sie im etwas weiter entfernten Zentrumsspital einhundert mal gemacht wird, ist wohl klar, wo sich Frau Müller lieber behandeln lässt. Allerdings wird ihr wichtige Information vorenthalten.

Während zu früheren Zeiten ein dichtes Netz von Standorten zur Gewährleistung der kantonsweiten Versorgung nötig war, ist dies aufgrund der heutigen Mobilität nicht mehr der Fall.

Unverständlicherweise werden Qualitätsdaten aber nur rudimentär bekannt gegeben. Der Qualitätsbericht des St.Galler Kantonsspitals enthält keine eingriffs- oder diagnosebezogenen Fallzahlen, keine Angaben über die Mortalitätsraten und auch sonst keine Informationen, welche dem Bürger einen Vergleich der Ergebnisqualität erlauben würde. Einzig über die Zufriedenheit von Patienten, Mitarbeitern und Zuweisern wird detailliert berichtet.

Solange die Qualität im Dunkeln bleibt, wird ein Qualitätswettbewerb behindert und die Bürger halten an Regionalspitälern fest. Dabei wären eine gut ausgebaute Notfallstation und ein schneller Rettungsdienst für die Bevölkerung viel nützlicher, als ein lokales Kleinspital, das allerlei Eingriffe vor Ort in geringer Fallzahl erledigt.

Immerhin hat die Gesundheitsdirektion damit begonnen, gewisse Leistungen der Spitäler zu koordinieren und teilweise zu konzentrieren. Dies allerdings stets unter der Prämisse, dass keine Spitäler geschlossen werden. Unter dem Schlagwort „Netzwerkstrategie“ werden Spezialisten in einigen ausgewählten Fachgebieten über die Standorte hinweg zusammengeschaltet, indem sie Röntgenbilder, Befunde und Beurteilungen austauschen. Zudem hat man die Logistikprozesse vernetzt.

Diese Bemühungen sind zwar löblich, weisen aber sowohl hinsichtlich Qualitätssteigerung als auch Kostensenkung ein beschränktes Potenzial auf. Im Kern scheint es eher um die Erhaltung der vielen kleinen Standorte zu gehen, die mit dem Notpflaster „Netzwerke“ zusammengehalten werden. Weitere Investitionen nach dem Giesskannenprinzip werden damit nicht verhindert.

Zweitens verspricht sich die Gesundheitsdirektion von den geplanten, massiven Spitalinvestitionen eine Stärkung des „Gesundheitskantons St.Gallen“. Dies vor dem Hintergrund eines verstärkten Wettbewerbs, welcher aufgrund neuer Bundesvorschriften ab dem Jahre 2012 erwartet wird.

Interessant ist nun aber, dass momentan viele Schweizer Kantone ihre Position als „Gesundheitskanton“ stärken wollen und deshalb zusätzlich investieren, solange sie ihre Spitalplanung noch nicht mit anderen Kantonen koordinieren müssen, was spätestens ab 2015 gemäss revidiertem Bundesgesetz der Fall sein wird. Dieses Verhalten der Kantone ist eine Reaktion auf die bevorstehende Steuerung, bewirkt aber ein weiteres Überangebot im stationären Sektor und wird zweifellos zu einem neuen Kostenschub in unserem Gesundheitswesen führen.

Drittens fällt auf, dass von der Gesundheitsdirektion zwar keine aussagekräftigen Qualitätsdaten publiziert werden, aber mit Stolz auf eine hohe Bettenauslastung von 90% verwiesen wird. Aus gesundheitsökonomischer Warte ist dieser Wert irrelevant. Denn einerseits kann er auf mehrere Arten manipuliert werden. Und andererseits kann ein hoher Wert einfach bedeuten, dass Patientinnen und Patienten unnötig lang im Spital behalten werden, um die Auslastung zu steigern. Dies führt zu vermeidbaren Kosten.
Zudem bergen hohe Auslastungsgrade die Gefahr, dass mangelnde Kapazitäten für ungeplante Notfallbehandlungen vorhanden sind. Tatsächlich besteht ein Problem darin, dass freigehaltene Kapazitäten (im Bereich Notfall, aber auch bei Stationsbetten) so genannte Vorhaltekosten verursachen, die niemandem unmittelbar angelastet werden können.

Ein Kanton, der sich als „Gesundheitskanton“ profilieren möchte, sollte dies anhand des Gesundheitszustands seiner Bevölkerung tun und mit objektiven Zahlen zur Versorgungsqualität belegen, statt mit einer hohe Bettenauslastung.

Gesundheitspolitische Einordnung
Wie in vielen Kantonen, scheint auch in St.Gallen die Gesundheitspolitik unter der Prämisse zu stehen, dass keine Spitäler geschlossen werden dürfen. Aufgrund der Erfahrung früherer Jahre herrscht Angst, von der Bevölkerung abgestraft zu werden. Stattdessen wäre es Aufgabe der Politik der Bevölkerung zu vermitteln, dass weniger, aber grössere Spitäler sowohl hinsichtlich Qualität als auch Kosten Vorteile bringen und die reine Nähe eines Spitals noch nichts über die Güte der Gesundheitsversorgung aussagt.

Um dies glaubhaft darzulegen, wären allerdings Qualitätsindikatoren bereit zu stellen. Doch genau dies vermeiden die Spitäler, um nicht in direkten Qualitätswettbewerb zu geraten. Denn es würde sich zeigen, wie gut oder schlecht einzelne Standorte im Vergleich dastehen – wobei kleine Häuser oder Abteilungen durchaus gute Qualität erbringen können, falls sie spezialisiert sind. Prinzipiell aber müsste die Politik das Heft in die Hand nehmen, Transparenz schaffen und die Rahmenbedingungen vorgeben, doch ist die politische Seite in St.Gallen mit dem Spitalsektor auf besondere Art verwoben.

Zentralisierte Macht
Im Rahmen der Prämisse der Standorterhaltung sämtlicher Häuser, ist die St.Galler Gesundheitspolitik nämlich einen eigenen Weg gegangen. Unter dem Titel Quadriga wurden vier Spitalregionen geschaffen, die inzwischen von einem Verwaltungsrat strategisch geleitet werden. Auffällig ist dabei , dass alle Spitäler im Kanton den gleichen Verwaltungsrat haben und dieser zudem von der zuständigen Regierungsrätin präsidiert wird. Diese Machtballung ist in der Schweiz ungewöhnlich, wenn nicht einzigartig. Verschiedene Schweizer Gesundheitsdirektoren haben ihrer Verwunderung Ausdruck gegeben, dass so etwas in St.Gallen möglich ist. Die unterschiedlichen Funktionen des Kantons als Planer, Finanzierer, Eigentümer und Aufsicht der Spitäler, welche in allen Kantonen ein hohes Konfliktpotenzial aufweisen, werden in St.Gallen noch um die Funktion der strategischen Führung erweitert.

Kantonsrat gefordert
Weil die Regierung unmittelbar Einsitz in der strategischen Führung nimmt und sich nicht auf die politische Kontrolle beschränkt, lässt sich zwar eine gewisse Steuerung und Koordination der Standorte besser umsetzen, doch fällt eine unabhängige Beurteilung und Reflexion schwer, sodass dem Kantonsparlament eine gesteigerte Überwachungsaufgabe zukommt. Insbesondere muss der Kantonsrat darauf bedacht sein, die Übersicht zu behalten, Salamitaktik zu vermeiden und die Entwicklung eines sinnvollen Gesamtpakets zu gewährleisten.

Wo immer Investitionen beantragt werden, muss die Frage lauten, welchen Beitrag sie zur Gesundheit der Bevölkerung leisten. Wie viel gesünder werden die St.Gallerinnen und St.Galler sein, wenn diese oder jene Millionen ausgegeben sind? – Umgekehrt liesse sich auch fragen, wie viel weniger gesund die Bevölkerung vor 10 Jahren war, als das Gesundheitswesen noch viele Millionen weniger kostete. Dies sind legitime Fragen, welche die Politik zuhanden der Steuerzahlenden stellen und beantworten muss – insbesondere wenn enorme Investitionen anstehen.

Die Unterstellung sämtlicher Spitäler unter einen gemeinsamen Verwaltungsrat hat noch eine weitere Wirkung. Der Wettbewerb unter den Häusern wird weitgehend ausgeschaltet. Die Regierung erwägt sogar die Möglichkeit der Abschöpfung der durch die Spitäler künftig erwirtschafteten Investitionsbeiträge durch den Kanton. Damit wird aber ein Hauptziel der neuen Spitalfinanzierung unterlaufen, welche ab 2012 durch einheitliche Finanzierungsregeln, erhöhte Transparenz der Qualität und überkantonale Wahlmöglichkeiten den Wettbewerb stärken will.

Weil in den dannzumal gültigen Fallpauschalen (sog. Swiss DRG System) die Investitionskosten bereits enthalten sind, erwirtschaften sich die Häuser ihre Investitionen künftig selbst und können dann über diese selbst entscheiden. Die Häuser stünden dann in einem gewissen Wettbewerb und hätten einen Anreiz bestmögliche Leistungen zu erbringen – dies wäre jedenfalls die Idee.

Die dazu nötige Autonomie der Häuser ist aber in St.Gallen aufgrund eines gemeinsamen Verwaltungsrats aller Spitäler, unter Vorsitz der Gesundheitsdirektorin, nicht gegeben. Besonders ausgeprägt gilt dies für die Spitäler Rorschach, Flawil und St.Gallen, welche formal das „Unternehmen Kantonsspital“ bilden. Durch solche Konstrukte wird der Wettbewerb ausgeschaltet und durch eine zentrale Steuerung ersetzt, welche insbesondere auch die Geldflüsse zu Investitionszwecken im neuen Finanzierungssystem betrifft.

Besonnene Gesundheitspolitik nötig
Ein staatlich geplanter Investitionswettlauf im Spitalbereich — wie er sich jetzt abzeichnet — ist aus gesundheitsökonomischer Sicht abzulehnen. Denn er folgt keinen klaren Zielsetzungen oder Prioritäten, dient dem Erhalt sämtlicher Standorte und verschlingt unnötige Gelder, die andernorts fehlen. Weil der Kanton gemäss revidiertem Gesetz mindestens 55% der Spitalkosten übernehmen muss, werden in einem solchen Szenario neben Prämienerhöhungen auch Steuererhöhungen unumgänglich sein. Es wird künftig für eine qualitativ hochstehende und zugleich bezahlbare Spitalversorgung des Kantons notwendig sein, die Investitionsentscheide den Spitalleitungen zu überlassen. Diese müssen, im Rahmen der Leistungsvereinbarungen mit dem Kanton, ihre Angebote und Investitionen selbst definieren, aber auch durch eigene Leistungen finanzieren. So werden die Leistungen besser auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet und zugleich Überkapazitäten vermieden.

Der Abschied von zentralstaatlicher Steuerung fällt aber vielen Akteuren im Kanton St.Gallen sichtlich schwer. Man hat sogar den Eindruck, dass sich manche Spitäler lieber an den Kanton und seine Steuerung klammern, als sich dem Wettbewerb zu stellen. So wird der Ruf nach diesem oder jenem Neu- und Umbau laut, solange noch der Staat die Investition übernimmt.

Zusammenfassend braucht es eine besonnene und letztlich mutige Politik, die auf kleinräumige, qualitativ ungenügende und ineffiziente Strukturen verzichtet. Deren Aufgabe besteht auch darin, der Bevölkerung zu vermitteln, dass künftig nicht mehr alle Spitäler sämtliche Angebote aufrechterhalten können und manche Häuser geschlossen oder grundlegend neu ausgerichtet werden müssen. Dies sowohl im Interesse der Qualität, als auch der Kosten.

Um die Übersicht zu behalten und ein sinnvolles Gesamtpaket der anstehenden Investitionen zu schnüren, wäre der Kanton bzw. der Kantonsrat sicher gut beraten, ein unabhängiges Expertengremium einzuberufen. Angesichts der Grössenordnung der Investitionsvorhaben, scheint eine neutrale Gesamtsicht dringend angezeigt.

Kommentare

Hier liegt der Kern des Problems:
Es wäre natürlich Aufgabe der Politik, den strategischen Rahmen für die Spitalentwicklung im Kanton vorzugeben. Akteure in diesem Willensbildungsprozess sind aber Politiker, deren prioritäres Bestreben die Optimierung ihrer Wahlchancen ist. Solange es nicht gelingt, die politische Diskussion um Spitalstandorte zu ent-emotionalisieren, werden Politiker abgewählt, die sich für das Ziel einer effizienten Spitalpolitik einsetzen.

Deshalb: Gesundheitsdirektion und Regierung würden wohl gescheiter in eine breite und fachlich gut abgestützte öffentliche Diskussion investieren als in politisch “billig” zu erreichendes Wählerlob für Investitionen in lokale Spitäler.

Spätestens die ab 2015 anstehende Verzichtsplanung wird nämlich sämtliche Akteure wieder auf den Boden der Realität holen; die Wähler in Form von Katzenjammer für hohe Steuern und die Politiker in Form von Vorwürfen, das Geld des Bürgers in Überkapazitäten investiert zu haben….

Anschauungsmaterial, das zeigt wie man es nicht machen sollte, liefert z.B. Basel.
Unter dem treffenden Titel “Anleitung zum Kostenwachstum – Wie Spitäler ohne Not ausgebaut werden” berichtete die NZZ vor einem Jahr über die Nordwestschweiz. Die Politik schaut ohnmächtig zu.
Artikel als PDF.

[...] im Spitalbereich eines Tages noch teuer zu stehen kommen könnte, habe ich bereits mehrfach in diesem Blog und in den Medien* [...]

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