25.06.2010

Nationalbank im Schilf

EuroVor einem guten Monat habe ich von den Nöten berichtet, ein guter Nationalbanker zu sein. Es ging um die Herausforderung der SNB, die wegen der Finanzkrise geschaffene, zusätzliche Liquidität abzuschöpfen, ohne dadurch den mühsam herbeigeredeten Aufschwung abzuwürgen; vgl. hier. — Inzwischen bin ich zur Überzeugung gelangt, dass unsere Notenbank wirklich etwas “ins Schilf” geraten ist.

Mit dem Argument, die Schweizer Volkswirtschaft vor einer Deflationsspirale bewahren zu wollen, hat sie im ersten Halbjahr 2010 in historisch einzigartigem Ausmass Euros gekauft. Damit hat sie eine Schwächung des Schweizerfrankens gegenüber dem Euro angestrebt, also in Abweichung des seit dem Jahre 2000 bestehenden geldpolitischen Konzepts, ein implizites Wechselkursziel verfolgt. Das neue Rekordtief des Euro von dieser Woche (CHF 1.35/Euro) belegt, dass dieses Ansinnen gründlich misslungen ist. Dieses Vorgehen wirft kritische Fragen auf.

Zunächst macht es stutzig, dass im heute erschienenen Quartalsbericht der SNB kein Wort über diese Dinge berichtet wird. In der “geld- und währungspolitischen Chronik” wird nicht erwähnt, dass und warum die Nationalbank im letzten Quartal mit etwa 70 Mrd. CHF zugunsten des Euro interveniert hat.

Stattdessen wiederholt der Quartalsbericht lediglich die dürre Pressemeldung vom 17. Juni — und zwar wörtlich und nichtssagend: “Ferner kündigte …(die SNB)… an, falls eine Aufwertung des Frankens zu erneuten Deflationsgefahren führen sollte, alle notwendigen Massnahmen zu treffen, um die Preisstabilität zu gewährleisten.” Das Argument scheint offenbar zu sein, dass sich ein sinkender Euro auf sinkende Preise und rückläufige Produktion in der Schweiz übertragen könne. Die Nachfrager könnten mit einem Konsumstreik reagieren, weil sie auf weitere Preissenkungen hoffen und so die Wirtschaft in eine deflationäre Abwärtsspirale drängen.

Diese Logik halte ich für kaum stichhaltig. In keinem Bereich waren systematisch sinkende Preise beobachtbar und es gab auch kaum Anzeichen für entsprechende Erwartungen. Vielmehr hat die SNB eine aktive Wechselkurspolitik zugunsten der Exportindustrie verfolgt. Damit hat sie mit einer jahrzehntelangen Tradition gebrochen. Ich erinnere mich an die Reden der SNB-Präsidenten Fritz Leutwiler und Markus Lusser, die uns als Studenten schon in den 1980er Jahren eingeimpft hatten, dass ein kleines Land grosse Währungen (damals va. den Dollar) nicht systematisch beeinflussen könne und Wechselkursziele deshalb abzulehnen seien.

Wie recht sie hatten, zeigt nun das aktuelle Experiment 2010. Gemäss Bilanz der SNB ist deren Bestand an Devisenanalgen von 95 Mrd. CHF anfangs Jahr auf 239 Mrd. CHF per Ende Mai gestiegen (davon 64% in Euro), was einer Zunahme um sagenhafte 145 Mrd. CHF in nur 5 Monaten enspricht. Wie erfolglos die Interventionen waren, zeigt das neue Rekordtief des Euro gegenüber dem Schweizerfranken von dieser Woche. Glücklicherweise hat die SNB nun reagiert und die Käufe eingestellt — weil die Deflationsgefahr gebannt sei (!) — wie SNB-Vizepräsident Thomas Jordan anfangs Woche im Schweizer Fernsehen erklärte.

Wie teuer die Intervention am Ende sein wird, ist noch nicht ganz klar. Sicher scheint jedenfalls, dass bereits massive Buchverluste auf den Devisenbeständen seit anfangs Jahr eingetreten sind. Falls sich der Euro nicht erholt, wofür einiges spricht, ist mit Abschreibungen in Milliardenhöhe zu rechnen.  — Hinzu kommt, dass durch die Eurokäufe zusätzliche Schweizerfranken in Umlauf gelangt sind, was mittelfristig die Inlfationsgefahr schürt. Dies zeigt auch die Inflationsprognose der SNB. Zusätzlich zur bereits 2008 und 2009 geschaffenen Liquidität müssen jetzt noch weitere Franken abgeschöpft werden, ohne die Konjunktur zu schwächen. Die Vorstellung fällt mir schwer, dass das hierzu notwendige Timing gelingt. Für 2011 und 2012 ist also mit einiger Wahrscheinlichkeit Inflation angesagt.

Wie unsinnig diese Intervention war, zeigt sich zudem am realen Wechselkurs. Volkswirtschaftlich relevant ist nämlich der um die Inflation bereinigte Wechselkurs, der die reale Kaufkraft unserer Exporte im Ausland erfasst. Dieser reale Wechselkurs ist gegenüber dem Euro zwar etwas gestiegen, liegt aber immer noch auf dem selben Niveau wie vor ein paar Jahren. Unsere Volkswirtschaft leidet also insgesamt gar nicht unter dem lediglich nominell gestiegenen Franken.

Als negative Nebenwirkung einer Politik des billigen Geldes und der tiefen Zinsen ist schliesslich auf die Gefahr einer Preisblase im Immobiliensektor hinzuweisen. Bislang hat sich der Schweizer Immobilienmarkt insgesamt als erstaunlich robust gegen Schwankungen nach oben wie nach unten erwiesen. Aufgrund der Zwickmühle in welche sich die SNB teilweise selbst hinein manövriert hat, sind ihr nun die Hände gebunden. Es bleibt ihr nur die etwas hilflose Mahnung an die Banken, Hypothekarkredite nicht unsorgfältig zu vergeben und an die Käufer, nicht der Versuchung kurzfristig billiger Kredite zu erliegen.

Mehr kann man leider nicht tun, wenn man im Schilf sitzt.

Kommentare

Diese Sichtweise geniesst inzwischen breitere Akzeptanz.
So schreibt die NZZ am 10.7.10 von übertriebenen Deflationsängsten und meint, dass die SNB ein “beträchtliches Inflationspotenzial aufgebaut” habe, “das jederzeit virulent werden kann“. — Wobei: “virulent” ist es eigentlich jetzt schon…
Zudem wird bereits über den von mir prognostizierten Milliardenverlust spekuliert. Ein UBS-Ökonom geht in der NZZ vom 14.7.10 von “einem Wertberichtigungsbedarf in der Grössenordnung von 10 Mrd. Franken” aus.
Auch die «Financial Times» zeigt sich gegenüber dem Alleingang der SNB zugunsten des Euro kritsch.

Nun ist es offiziell:

Die Schweizerische Nationalbank hat im ersten Halbjahr 2010 ihre Devisenanlagen um rund 132 Mrd. Franken erhöht. Der grösste Teil davon wurde in Euro-Anlagen investiert. Die starke Aufwertung des Frankens insbesondere gegenüber dem Euro hat zu Wechselkursverlusten im Umfang von über 14 Mrd. Franken geführt.

Medienmitteilung der SNB vom 21.7.10

[...] der Fachausdruck für die Gesprächstherapie, welche die SNB mit den Banken durchführt (vgl. auch Blogeintrag). Ziel ist es, eine mögliche Immobilienblase durch rechtzeitiges Zerreden zu verhindern. Eine [...]

[...] ist unter Experten höchst umstritten, ob tatsächlich eine Deflationsgefahr besteht (vgl. auch Blogeintrag bezüglich der Schweiz). Vielmehr besteht der Verdacht, dass das FED die US-Wirtschaft mit billigem Geld ankurbeln will [...]

[...] auf eine psychologische Wirkung gehofft, doch faktisch hatte die SNB keine Chance. vgl. meinen Blogeintrag vom Juni 2010.  Was vorläufig bleibt, ist das Milliardenloch in der [...]

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