7.06.2010

Neue Haushaltsdisziplin in Europa?

Das hat die Politik aus eigener Kraft jahrelang nicht geschafft. Nun haben die Devisen- und Finanzmärkte die europäischen Staaten zu vermehrter Haushaltsdisziplin gezwungen. Für einen Ökonomen ist das tröstlich. Für die Bürger weniger, denn sie haben sich in vielen Ländern an die Wohltaten aus dem staatlichen Füllhorn gewöhnt.

In Griechenland, Grossbritanien, Spanien, Portugal, Italien und nun auch in Deutschland ist die Sparwut ausgebrochen. Wie viel Rhetorik dabei im Spiel ist und wie rigoros die Massnahmen tatsächlich ausfallen, muss sich erst zeigen. Doch es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie sinnvoll diese “Sparrunden” aus ökonomischer Sicht sind.

Weniger Crowding Out

Prinzipiell ist ein langfristig ausgeglichener Staatshaushalt eine gute Sache. Weil Defizite über den Kapitalmarkt ausgeglichen werden müssen, führt dies unweigerlich zu höheren Zinsen und einer Abnahme privater Investitionen (sog. Verdrängungseffekt, crowding out), was wiederum dem Wachstum abträglich ist.

Ebenso schädlich ist es, wenn nötige Haushaltssanierungen einzig auf zusätzlichen Einnahmen, sprich höheren Steuern, beruhen. Die deutsche Kanzlerin hat deshalb am Wochenende etwas sibyllinisch von “Akzentsetzungen auf der Ausgabenseite” gesprochen. — Heute wurde bekannt, dass sie bis 2014 80 Milliarden “einsparen” will. Wobei es allerdings nicht um Sparen im üblichen Sinne des Zurücklegens von Mitteln für Investitionen oder schlechte Zeiten geht. Vielmehr sollen die Defizite weniger gross ausfallen als geplant. Diese eigenwillige Definition des Sparbegriffs scheint in der Politik und bei den Medien akzeptiert zu sein. Bei einem privaten Schuldner wie mir wäre man da wohl etwas strenger…

Wo ansetzen?

Wenn also Zügelung auf der Ausgabenseite gemeint ist, kommt es noch darauf an wo genau angesetzt wird. Weil die Staatsausgaben eine Komponente (G) des Bruttoinlandsprodukts sind (Y = C + I + G + NX), führen deren Kürzungen kurzfristig immer zu einem BIP-Rückgang. Langfristig ist bei sinnvoller Sanierung aber mit positiven Wachstumseffekten zu rechnen.

Kürzungen bei zentralen staatlichen Leistungen — wie Bildung, Recht und Sicherheit, Infrastruktur — bergen die Gefahr einer nicht nur kurz- sondern auch langfristigen Schwächung der Wirtschaftskraft. Die Reduktion eines überbordenden Staatsapparats (wie in Griechenland) und strukturerhaltender Subventionen hingegen, wirkt langfristig positiv. Gerade bei letzteren besteht in der EU, aber auch bei uns, ein enormes Potenzial.

Ökonomisch sinnvoll, aber politisch heikel, können Einschnitte beim Sozialstaat sein. Zwar tragen Sozialausgaben zum sozialen Frieden bei, federn übermässige Härten ab und dienen im konjunkturellen Abschwung als automatische Stabilisatoren. Doch unterminieren sie die Anreize, aus eigener Kraft aktiv zu sein. Je stärker die Umverteilung durch den Wohlfahrtsstaat, umso schwächer der Leistungswille des Einzelnen. – Je gleicher der Kuchen verteilt wird, umso weniger Leute sind bereit, ihn zu backen.

Welche Gerechtigkeit?

Auch das Argument der Gerechtigkeit sticht hier nicht. Gerne stelle ich meine Studenten vor folgende (fiktive) Wahl: bei der Klausur zum Semesterende werden die Noten von 1 bis 6 gemäss der erzielten Punktezahlen individuell berechnet. Alternativ dazu spare ich mir die Korrektur und gebe allen die Note “gut”. Die spontane Reaktion ist jeweils, dass niemand für die zweite Option votiert, weil diese Gleichverteilung unfair wäre. Sie widerspricht nämlich der Leistungsgerechtigkeit.

Zudem ergibt sich stets eine Diskussion um die Anreize der zweiten Variante: Wer würde noch ernsthaft auf die Prüfung lernen, wenn klar ist, dass er ohnehin eine gute Note erhält? Und was wäre dann das Diplom am Ende des Studiums noch wert?

Solche Überlegungen lassen linke Politiker und Gewerkschafter meist kalt. So wird der deutsche Gewerkschaftsboss Frank Bsirske heute in der NZZ wie folgt zitiert:

«Einschnitte bei den Rentenbeiträgen für Langzeitarbeitslose, Abstriche beim Elterngeld, Kürzungen bei den Fördermitteln für Erwerbslose, Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst – gerecht geht anders», sagte Bsirske. Stattdessen sollten grosse Vermögen und reiche Erben steuerlich stärker herangezogen werden, forderte er.

Dieses Lied ist bekannt. Erstaunlich daran ist aber, dass höhere Steuern selbst in der “Steuerwüste Deutschland” immer noch als Heilmittel zur Haushaltssanierung propagiert werden. Hat sich denn noch nicht herumgesprochen, dass “Steueroasen” wie die Schweiz nur deshalb existieren, weil sie von fiskalischem Ödland umgeben sind?

Hilfreiche Konjunkurschwäche

Gerade wegen der schwachen Konjunktur war der Zeitpunkt für Haushaltssanierungen in Europa schon lange nicht mehr so günstig wie heute. So lange die Märkte mit Abwertung von Devisen, schlechten Ratings und steigenden Refinanzierungszinsen drohen, muss das politische Momentum genutzt werden. Denn sobald die Konjunktur wieder anzieht, sprudeln die Steuern und es sinkt der Sanierungsdruck. Dann ist die Chance vielleicht vertan — nicht nur in Deutschland.

Was sich aktuell gut illustrieren lässt, ist die Gegeläufigkeit von ökonomischer und politischer Rationalität. Ökonomisch gesehen wäre es leichter, die staatlichen Haushalte in wirtschaftlich guten Zeiten zu sanieren. Politisch gesehen, entsteht der dazu nötige Druck aber eher in schlechten Zeiten.

Kommentare

Schön wäre es, wenn wir grundsätzlich in den Medien und der Politik wieder zu einer genaueren Verwendung der Sprache kämen. Es macht nämlich schon einen erheblichen Unterschied, ob eine Regierung “spart”, d.h. mehr Einnahmen als Ausgaben hat oder ob sie nur die Ausgabenseite reduziert und dabei trotzdem neue Schulden macht! Die zukünftigen Generationen werden es deutlich spüren.
Auch wenn Partei A behauptet, sie hätte eine Wahl gewonnnen, obwohl sie weniger Stimmen als Partei B hat, die aber halt höhere Verluste erlitten hat, ist für wirkliches Demokratieverständnis nicht hilfreich.
Diese Sprachverschiebungen erinnern mich an “Newspeak” in George Orwell “1984″. Wenn wir da nicht landen wolle, sollte sich jeder um Genauigkeit in der Ausdrucksweise bemühen. Auch die Begriffsschaffung “PIGS Staaten” in der Volkswirtschaft für Staaten mit Verschuldungsproblematik ist m.E. nicht angebracht.

Anmerkung von T. Slembeck:
PIIGS-Staaten = Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien

Lieber Herr Slembeck,

Sie schreiben:
“Je gleicher der Kuchen verteilt wird, umso weniger Leute sind bereit, ihn zu backen”

Das ist wohl schlicht eine der “economic fallacies”, der vor allem Ökonomen huldigen. Wo sind Ihre empirischen Daten, die so eine Aussage rechtfertigen? Die Aussage erscheint plausibel, aber nicht jede plausible Aussage muss etwas mit der Realität zu tun haben.

Wie kann es sein, dass Japan eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt geworden ist, obwohl das Einkommen dort fast so gleich verteilt wird wie in Schweden? Und auch Schweden: Wie kommt es zu (relativ) geringer Arbeitslosigkeit und hohem Wachstum, wenn Ihre Aussage richtig wäre?

Zum zweiten, den Steuern. Sie schreiben, um die Schweiz herum gäbe es nur steuerliches Ödland, und meinen wahrscheinlich, dass es etwa in Deutschland sehr hohe Steuern gäbe.

Empirisch haut das aber nicht hin. Bei der OECD kann man nachlesen, dass gerade die Steuern in Deutschland recht gering sind. Eine Vermögenssteuern – wie es sie in der Schweiz, meine ich, gibt – gibt es in Deutschland gar nicht. Besonders die Gutverdiener bezahlen im EU-Durchschnitt unterdurchschnittlich Steuern.

Der Sozialstaat wird über Abgaben finanziert, die überproportional die mittleren und kleinen Einkommen treffen. Das ist der Fall wegen der Betragsbemessungsgrenze. Gutverdiener haben ab dieser Grenze eine fallende Grenzsteuerbelastung (rechnet man die Abgaben mit ein).

Kurz: Die Gleichheit der Einkommen hat mit Wachstum nichts zu tun. Das ist nun mal ein empirischer Fakt, mit dem man sich einmal auseinandersetzen sollte, bevor man Politiken bewertet.

Mit freundlichen Grüßen,

Fabian Lindner

Sehr geehrter Herr Lindner
es ist interessant, dass Sie die „economic fallacies“ ansprechen, weil ich mich schon seit vielen Jahren damit befasse; vgl. Buchkapitel, inkl. einer Liste solcher „fallacies“. Dass Sie diese Trugschlüsse nun den Ökonomen statt den Laien zuschreiben, ist rhetorisch geschickt, aber vorliegend leider verfehlt.

Japan und Schweden als vermeintliche, empirische Speerspitze gegen die negativen Anreizwirkungen einer massiven Um- oder gar Gleichverteilungspolitik ins Feld zu führen, scheint mir nun doch etwas gewagt. Denn mikroökonomisch ist zunächst klar, dass Umverteilung grundsätzlich Leistungshemmend wirkt: Wer mit oder ohne Anstrengung am Schluss gleich viel bekommt, überlegt es sich zwei mal, ob er sich anstrengen soll; vgl. mein Beispiel zur Notengebung im Studium.

Natürlich gibt es auch intrinsisch oder altruistisch Motivierte – die einen erbringen Leistungen aus Freude an der Leistung selbst und die anderen, um anderen Gutes zu tun – doch leider ist diese Motivationslage kaum generalisierbar.

Hinzu kommt aber ein zweites: Die Abnahme des Leistungswillens durch umverteilende Steuern hängt massgeblich davon ab, wie gerecht die Steuern von den Bürgern empfunden werden und welche staatlichen Leistungen die Steuerzahler dafür erhalten. Wird die Steuer- und Abgabenbelastung insgesamt als moderat empfunden, halten die Bürger das Steuersystem für fair und verfügen sie über demokratische Mitspracherechte, und empfinden die Steuerzahler die staatlichen Leistungen als faire Gegenleistung für ihre Abgaben, so ist der Rückgang des Leistungswillens vergleichsweise gering.

Diese Aspekte wurden z.B. von Gebhard Kirchgässner, Lars P. Feld und Friedrich Schneider (auch im Zusammenhang mit dem Ausmass der Schattenwirtschaft) empirisch untersucht. Nicht zuletzt die Parizipationsmöglichkeiten in Steuerbelangen spielen dabei eine Rolle.

Für Japan und Schweden kenne ich die Resultate nicht, kann mir aber vorstellen, dass eine starke Umverteilung bzw. hohe Steuerbelastung dort gesellschaftlich gut akzeptiert ist. In Griechenland und Italien ist sie es jedenfalls nicht.

Bezüglich der vermeintlich tiefen Steuerbelastung in Deutschland begehen Sie den klassischen Fehler, dass Sie nur auf einzelne Steuern und nicht auf die Belastung mit Steuern und Abgaben insgesamt abstellen. Alle mir bekannten Studien zeigen für Deutschland eine hohe Abgabenbelastung innerhalb der OECD (vgl. NZZ oder auch die Analysen von Thomas Straubhaar).

Zudem scheint es vergleichsweise wenig „Steuerflüchtlinge“ zu geben, welche in Deutschland ihr fiskalisches Glück suchen. Diese Empirie und das Verhalten von Peer Steinbrück sprechen hier Bände… Immerhin: dank Liechtenstein ist die Schweiz nicht ausschliesslich von Steuerwüsten umgeben.

Kurzum: Die Umverteilung von Einkommen hat sehr viel mit Leistungsanreizen – und damit mit Wachstum – zu tun. Boris Becker, Michael Schumacher und andere deutsche Leistungsträger lassen grüssen. Das ist wohl empirischer Fakt genug…

Freundliche Grüsse,
Tilman Slembeck

Die Blogger von Iconomix (ein Blog der Schweizerischen Nationalbank) haben eine nette Zusammenstellung zum Thema verfasst — u.a. mit Verweis auf diesen Blog.

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