Das hat die Politik aus eigener Kraft jahrelang nicht geschafft. Nun haben die Devisen- und Finanzmärkte die europäischen Staaten zu vermehrter Haushaltsdisziplin gezwungen. Für einen Ökonomen ist das tröstlich. Für die Bürger weniger, denn sie haben sich in vielen Ländern an die Wohltaten aus dem staatlichen Füllhorn gewöhnt.
In Griechenland, Grossbritanien, Spanien, Portugal, Italien und nun auch in Deutschland ist die Sparwut ausgebrochen. Wie viel Rhetorik dabei im Spiel ist und wie rigoros die Massnahmen tatsächlich ausfallen, muss sich erst zeigen. Doch es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie sinnvoll diese “Sparrunden” aus ökonomischer Sicht sind.
Weniger Crowding Out
Prinzipiell ist ein langfristig ausgeglichener Staatshaushalt eine gute Sache. Weil Defizite über den Kapitalmarkt ausgeglichen werden müssen, führt dies unweigerlich zu höheren Zinsen und einer Abnahme privater Investitionen (sog. Verdrängungseffekt, crowding out), was wiederum dem Wachstum abträglich ist.
Ebenso schädlich ist es, wenn nötige Haushaltssanierungen einzig auf zusätzlichen Einnahmen, sprich höheren Steuern, beruhen. Die deutsche Kanzlerin hat deshalb am Wochenende etwas sibyllinisch von “Akzentsetzungen auf der Ausgabenseite” gesprochen. — Heute wurde bekannt, dass sie bis 2014 80 Milliarden “einsparen” will. Wobei es allerdings nicht um Sparen im üblichen Sinne des Zurücklegens von Mitteln für Investitionen oder schlechte Zeiten geht. Vielmehr sollen die Defizite weniger gross ausfallen als geplant. Diese eigenwillige Definition des Sparbegriffs scheint in der Politik und bei den Medien akzeptiert zu sein. Bei einem privaten Schuldner wie mir wäre man da wohl etwas strenger…
Wo ansetzen?
Wenn also Zügelung auf der Ausgabenseite gemeint ist, kommt es noch darauf an wo genau angesetzt wird. Weil die Staatsausgaben eine Komponente (G) des Bruttoinlandsprodukts sind (Y = C + I + G + NX), führen deren Kürzungen kurzfristig immer zu einem BIP-Rückgang. Langfristig ist bei sinnvoller Sanierung aber mit positiven Wachstumseffekten zu rechnen.
Kürzungen bei zentralen staatlichen Leistungen — wie Bildung, Recht und Sicherheit, Infrastruktur — bergen die Gefahr einer nicht nur kurz- sondern auch langfristigen Schwächung der Wirtschaftskraft. Die Reduktion eines überbordenden Staatsapparats (wie in Griechenland) und strukturerhaltender Subventionen hingegen, wirkt langfristig positiv. Gerade bei letzteren besteht in der EU, aber auch bei uns, ein enormes Potenzial.
Ökonomisch sinnvoll, aber politisch heikel, können Einschnitte beim Sozialstaat sein. Zwar tragen Sozialausgaben zum sozialen Frieden bei, federn übermässige Härten ab und dienen im konjunkturellen Abschwung als automatische Stabilisatoren. Doch unterminieren sie die Anreize, aus eigener Kraft aktiv zu sein. Je stärker die Umverteilung durch den Wohlfahrtsstaat, umso schwächer der Leistungswille des Einzelnen. – Je gleicher der Kuchen verteilt wird, umso weniger Leute sind bereit, ihn zu backen.
Welche Gerechtigkeit?
Auch das Argument der Gerechtigkeit sticht hier nicht. Gerne stelle ich meine Studenten vor folgende (fiktive) Wahl: bei der Klausur zum Semesterende werden die Noten von 1 bis 6 gemäss der erzielten Punktezahlen individuell berechnet. Alternativ dazu spare ich mir die Korrektur und gebe allen die Note “gut”. Die spontane Reaktion ist jeweils, dass niemand für die zweite Option votiert, weil diese Gleichverteilung unfair wäre. Sie widerspricht nämlich der Leistungsgerechtigkeit.
Zudem ergibt sich stets eine Diskussion um die Anreize der zweiten Variante: Wer würde noch ernsthaft auf die Prüfung lernen, wenn klar ist, dass er ohnehin eine gute Note erhält? Und was wäre dann das Diplom am Ende des Studiums noch wert?
Solche Überlegungen lassen linke Politiker und Gewerkschafter meist kalt. So wird der deutsche Gewerkschaftsboss Frank Bsirske heute in der NZZ wie folgt zitiert:
«Einschnitte bei den Rentenbeiträgen für Langzeitarbeitslose, Abstriche beim Elterngeld, Kürzungen bei den Fördermitteln für Erwerbslose, Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst – gerecht geht anders», sagte Bsirske. Stattdessen sollten grosse Vermögen und reiche Erben steuerlich stärker herangezogen werden, forderte er.
Dieses Lied ist bekannt. Erstaunlich daran ist aber, dass höhere Steuern selbst in der “Steuerwüste Deutschland” immer noch als Heilmittel zur Haushaltssanierung propagiert werden. Hat sich denn noch nicht herumgesprochen, dass “Steueroasen” wie die Schweiz nur deshalb existieren, weil sie von fiskalischem Ödland umgeben sind?
Hilfreiche Konjunkurschwäche
Gerade wegen der schwachen Konjunktur war der Zeitpunkt für Haushaltssanierungen in Europa schon lange nicht mehr so günstig wie heute. So lange die Märkte mit Abwertung von Devisen, schlechten Ratings und steigenden Refinanzierungszinsen drohen, muss das politische Momentum genutzt werden. Denn sobald die Konjunktur wieder anzieht, sprudeln die Steuern und es sinkt der Sanierungsdruck. Dann ist die Chance vielleicht vertan — nicht nur in Deutschland.
Was sich aktuell gut illustrieren lässt, ist die Gegeläufigkeit von ökonomischer und politischer Rationalität. Ökonomisch gesehen wäre es leichter, die staatlichen Haushalte in wirtschaftlich guten Zeiten zu sanieren. Politisch gesehen, entsteht der dazu nötige Druck aber eher in schlechten Zeiten.