18.04.2010

Sozialausgaben als Investitionen?

Warum sind Sozialausgaben keine gesellschaftlichen Investitionen, der Bau des Vereina-Tunnels aber schon? Diese Frage stellte heute der Sozialexperte Walter Schmid* im Schweizer Fernsehen. Er habe diese Unterscheidung nie verstanden.

Die Antwort ist einfach: Investitionen sind definiert als Ausgaben, die einen geldwerten Mittelrückfluss erzeugen. Investitionen liquidieren sich durch den Mittelrückfluss selbst. Hiervon zu unterscheiden sind der Konsum und die Umverteilung.

Wenn ich ein Auto kaufe und damit herumfahre, ist dies Konsum. Wenn ich das selbe Auto verwende um Pizza zu liefern, ist das Auto eine Investition. Denn durch die Einnahmen kann diese über die Zeit abbezahlt werden (Selbstliquidation). Deshalb sind etwa Militärausgaben gesellschaftlicher Konsum, auch wenn sie uns von Politikern gerne als Investitionen präsentiert werden.

Sozialhilfe beutet Umverteilung. Den Einen wird via Steuern genommen und den Anderen gegeben. Sofern sie den gesellschaftlichen Präferenzen entspricht, ist gegen “eine Unterstützung um der Würde willen,  jenseits der Leistungsfähigkeit” , wie Schmid sie einfordert, nichts einzuwenden. Sozialhilfe beinhaltet verschiedene positive gesellschaftliche Externalitäten, etwa indem sie den sozialen Frieden stärkt und Verteilungskämpfe mindert. Trotzdem ist sie keine Investition, auch wenn uns dies Sozialexperten gerne weismachen wollen.

Mir scheint, dass hier der Begriff der Investitionen bewusst umgedeutet wird, um die politische Akzeptanz für Sozialausgaben zu erhöhen. Diese Strategie hat Tradition. Überall wo Ausgaben verteidigt werden, ist von “Investitionen” die Rede – beim Militär, bei der Landwirtschaft und bei der Kultur. Aus rhetorischen und politischen Gründen werden uns Konsum, Umverteilung und positive Externalitäten im falschen Gewand präsentiert.

*Dr. Walter Schmid ist studierter Jurist, war Sozialmanager und ist heute Rektor der Hochschule Luzern für Soziale Arbeit.

Kommentare

Mail von Dr. Schmid: Mo 19.04.2010 09:28

Sehr geehrter Herr Slembeck

Ich danke Ihnen für Ihre Reaktion und die sorgfältige Stellungnahme zu meiner Aussage in der Sternstunde.

Ich habe nach meiner Erinnerung den Vereinatunnel als Investition nicht in Bezug gesetzt zu der Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen, sondern zu Investitionen in die Ausbildung. (Ob die Qualifikationsmassnahmen dann über das Budget eines Sozial- , Erziehungs- oder Volkswirtschaftsdepartement finanziert wird, erachte ich dabei als nachrangig).
Meine Frage ist vielmehr: Warum können qualifizierende Massnahmen nicht ebenfalls als Investitionen betrachtet werde, denn nach meiner Auffassung folgen diese genau Ihrer Definition: Es sind Ausgaben, die einen geldwerten Mittelrückfluss erzeugen, z.B. über generierte Wertschöpfung dank einer Erwerbstätigkeit oder einer produktiveren Erwerbstätigkeit.
Dass Sie Umverteilungen nicht als Investition betrachten wollen, kann ich gut nachvollziehen, aber dass die Generierung von Einkommen oder höheren Einkommen (oder zumindest die sich daraus ergebernden Steuereinnahmen) nicht auch als geldwerter Mittelrückfluss an die Gesellschaft betrachtet werden kann, verstehe ich nicht.

Aber vielleicht können Sie mir dazu eine einleuchtende Erklärung geben.

Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen Walter Schmid

Vielen Dank für Ihre Nachricht.
Ich habe die Stelle nochmals nachgeschaut. Ohne haarspalterisch zu sein: Minute 9:30 bis 10:40 sprechen Sie von Familienzulagen, Ergänzungsleistungen und Sozialleistungen als Investitionen, vergleichbar mit dem Vereina-Tunnel.

Bezüglich qualifizierender Massnahmen liegt die Sache tatsächlich etwas anders. Sofern dadurch Einkommen erzielt oder erhöht werden können, wird der Sozialhaushalt längerfristig entlastet. Diese Idee entspricht dem bekannten “Welfare-to-Work“-Ansatz. Sofern zudem noch höhere Steuereinnahmen resultieren, fliesst zumindest ein Teil der Ausgaben wieder an den Staat zurück. Dieser Teil kann dann aus gesellschaftlicher Sicht als eine Art Mittelrückfluss einer Investition betrachtet werden.

Diese Überlegung entspricht der ökonomischen Logik staatlich finanzierter Bildung und hat eigentlich nichts mit Sozialhilfe, Familienzulagen etc. per se zu tun. — Somit haben wir wohl keine grundsätzliche Differenz und ich danke Ihnen für die klärenden Worte.

Problematisch schiene mir einzig, falls sozialpolitische Argumente (welche zweifellos ihre eigene Berechtigung haben) mit bildungspolitischen Argumenten vermischt würden. Natürlich kann man einwenden, dass sich beide Aspekte in der Praxis verwischen, doch darf man wohl kaum darauf hoffen, dass höhere Sozialleistungen (Familienzulagen, Ergänzungsleistungen etc.) automatisch zu besserer Qualifikation führen. Qualifizierende Massnahmen, wie sie etwa auch von den RAVs angeboten werden, müssen separat finanziert und zweckgebunden an die Haushalte geleitet werden.

Eine deutsche Harz4-Empfängerin dürckte es in einem Interview etwas drastisch aus: “Wenn man die Kinderzulagen erhöht, saufen die Eltern einfach mehr. Die Kinder sehen nichts davon“.

Die Unterscheidung zwischen Umverteilung und Investition ist eine falsche Dichotomie. Das eine schliesst das andere nicht aus.

Sozialausgaben führen (nicht immer, aber oft) dazu, dass Menschen später mehr (oder wieder) Steuern bezahlen können. Ergo sind sie eine Investition gemäss dem Pizza-Auto-Beispiel.

Beispiel aus der Realität: meine Ex-Freundin litt unter starker Agoraphobie und konnte mehrere Jahre nicht arbeiten. Die IV-Betreuung hat dazu geführt, dass sie ihre Ausbildung trotzdem beenden konnte und nun normal arbeiten kann. Sie bezahlt heute Steuern, die sie ohne IV nicht bezahlen würde.

@Lukas
Sehr erfreulich! War mit “IV-Betreuung”
eine deutsche Hartz-Maßnahme gemeint?
Welche?

@slembeck/schmid
So wichtig die Schaffung und der Erhalt bzw. Verbesserung der Steuerbasis eines Staates ja ist, sowenig ist dieser oder seine Gesellschaft dazu berechtigt bzw. auch nur in der Lage, die erhebliche positive WIRTSCHAFTLICHE Wirkung von hohen ANTEILEN von Sozialausgaben am BIP auch nur annähernd mit den akademisch-wirtsch.- wissenschaftlichen Zyklen von Investition und De-Investion, nach Input, Output und Mittelrückflüssen etc. WIRKLICHKEITSGERECHT zu erfassen, geschweige denn zu beurteilen.
Diese und andere begrifflichen Instrumente aus der BWL versagen schon im ureigensten Feld zunehmend, und eine Übertragung auf VWL und/oder Sozialpolitik kann bestenfalls als versuchsweise, “essayistische” Hintergrundbeleuchtung aus EINER von vielen dringender zu berücksichtigenden Perspektiven sinnvoll sein, – eher gehen von der Übertragung eh’ schon schwächelnder Begrifflichkeiten EXTREME Gefahren für ALLE aus.
Stichworte: z. B. die Rolle der Geldakkumulation (heute ist ca. das 60 bis 100-fache aller Jahres-BIPs auf der Erde an Geld vorhanden, ein wichtiger Teil davon in Geldspeichern) oder die Voraussetzungshaftigkeit umfangreicher institutioneller Hilfen für jene, die “es allein” nicht schaffen können oder wollen für die moderne Arbeitsweise angeblich so hoch effizienter Leute aus der Mittelschicht (> 8000 Euro/Monat) einer Wissensgesellschaft. Deren hohe berufliche Dedizierung des Lebens mit höchster zeitlicher, räumlicher, kognitiver und sozialer Flexibilität und Beanspruchung wäre ohne die staatliche bzw. gesellschaftlich institutionelle Seite ÜBERHAUPT nicht zu realisieren. Selbst wenn man diese
Gutverdiener von SÄMTLICHEN Steuern (also auch solchen für Verteidigung, Rechtswesen, Parlamente usw.) entlasten würde.
DAS Chaos in der eigenen Familie (incl. Verwandtschaft) wäre dann von der Schule über Uni, Krankenver-sicherungen, Alterspflege etc. “selbst” zu organisieren und Kraft eigener Finanzmittel zu steuern bzw. an der Kandare zu halten. Wenn man dann sieht, welche Probleme schon viele Gutverdienenden und daher rein privat Krankenversicherten mit ihren Kassen in Deutschland haben, – dann “gute Nacht” zum “modernen Leben” und seiner beruflichen Dedizierung und Flexibilität.

Solche und weitere 100 Aspekte auch nur der WIRTSCHAFTLICHEN Dimension von Sozial-, Bildungs-, u. a. Ausgaben können der “Investitionsansatz” und ähnlich ranzige “Exporte” der BWL in keinster Weise reflektieren. Es drängt sich eher der Verdacht auf, dass die uralte Ware noch schnell “interdisziplinär” verschifft werden soll, bevor sie endgültig im Heimathafen vergammelt.

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