Mobility Pricing – Angebot und Nachfrage im Verkehr
Wenn die Nachfrage hoch ist, steigt der Preis. Das ist normal. Nur nicht im Verkehr. Der Bundesrat will das nun ändern. Wer zu Stosszeiten auf der Strasse oder der Schiene unterwegs ist, soll mehr zahlen. So sieht es das soeben vorgestellte bundesrätliche Modell für leistungsabhängige Verkehrsabgaben vor. Ist “mobility pricing” der moderne Begriff für ein neues Abzocker-Modell, das es einzig aufs Portemonnaie der Pendler abgesehen hat?
Nein, denn die Gesamtkosten werden nicht erhöht, sie werden nur anders verteilt. Und das ist gut so. Denn es sind genau jene Verkehrsteilnehmer, die zu Stosszeiten an Engpässen vorbei müssen, welche den Grossteil der Kosten verursachen.
Dies sind erstens Infrastrukturkosten, indem die Kapazitäten von Strasse und Schiene so ausgebaut werden, dass auch die Spitzenlast reibungslos durch geht. Die meiste Zeit stehen nämlich auch die Nadelöhre, wie das Baregg Tunnel, leer. Eine Beseitigung solcher Engpässe kostet uns Milliarden.
Zweitens entstehen enorme Staukosten für alle Verkehrsteilnehmer. Dies sind gemäss Berechnungen des Bundes der Zeitverlust sowie erhöhte Energie- , Umwelt- und Unfallkosten von weit über 2 Milliarden Franken pro Jahr.
Höhere Preise zu Stosszeiten* und auf Engpassstrecken reduzieren diese Kosten, indem sich der Verkehr zeitlich und räumlich besser verteilt. Natürlich braucht es dazu flexiblere Arbeits- und Schulzeiten. Die Arbeit von daheim wird zudem attraktiver.
Dass eine solche Umstellung auf neue und variable Anfangszeiten und alternative Arbeitsmodelle einige Jahre der Anpassung bedarf, ist offensichtlich. Wie aus einer grossen Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen hervor geht, ist ein späterer Schulbeginn allerdings für die allermeisten Schüler aufgrund des verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus im Teenager-Alter überaus vorteilhalft.**
Wie steht es um die Pendler?
Sind sie nicht auf billige Verkehrsmittel angewiesen? Dass wir Wohnen, Arbeit und Freizeit an ganz verschiedenen Orten verbringen, ist das Ergebnis subventionierter, viel zu billiger Mobilität. Deshalb sind wir ein Volk von 3.7 Millionen Pendlern geworden.***
Nur weil Reisen so günstig ist, haben wir uns an die tägliche und wöchentliche Pendelei gewöhnt. Wir wohnen im Aargau, arbeiten in Zürich und verbringen das Wochenende im Ferienhaus im Tessin. — Jetzt, da wir an die Grenzen der Kapazitäten unserer Verkehrswege kommen, wird uns die Rechnung präsentiert.
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Eine gekürzte Fassung dieses Artikels ist in meiner Kolumne im Sonntagsblick am 14. Juni 2015 erschienen.
*Tilman Slembeck (2005): Der Missstand der subventionierten Mobilität – Externe Effekte rechtfertigen keine Verkehrsförderung mit öffentlichen Mitteln, NZZ, Nr. 130 vom 7. Juni 2005. S. 29 (PDF des NZZ-Artikels , PDF-Volltext)
**siehe z.B. Till Roenneberg (2010): Wie wir ticken — Die Bedeutung der Chronobiologie für uns, Dumont Verlag.
***Pendlermobilität (Quelle: BfS, 2014):
2012 waren 9 von 10 Erwerbstätigen in der Schweiz Pendlerinnen bzw. Pendler, also Personen, die zum Aufsuchen des Arbeitsplatzes ihr Wohngebäude verlassen. Dies entspricht rund 3,7 Millionen Menschen. 55% der Pendlerinnen und Pendler bewegten sich 2012 innerhalb eines städtischen Gebiets. Weitere 14% pendelten von einem städtischen Gebiet in ein anderes, während 12% im ländlichen Raum wohnten und in ein städtisches Gebiet zur Arbeit fuhren.