Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.
Am normativen Gehalt obigen Satzes zweifelt niemand, an seiner faktischen Richtigkeit hingegen schon. – Trotz all dem Markt-Bashing darf nicht vergessen werden, dass uns die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte einen nie dagewesenen Wohlstand auf breiter Ebene gebracht hat. Die weltweite Armut ist massiv zurück gegangen und die Entwicklungsländer profitieren immer mehr vom globalen Handel. Schade, dass diese guten Nachrichten kaum Schlagzeilen machen.
Zugegeben, die Lohn-Abzockerei mancher Manager und das rechtsbrecherische Verhalten gewisser Banker* treiben manchmal auch dem glühendsten Vertreter der Marktwirtschaft die Röte ins Gesicht. Sei dies aus Scham oder aus Wut. Und: ja, es ist offensichtlich, dass wir den Markt – genauer gesagt seine Teilnehmer – nicht einfach sich selbst überlassen können. Aber: Blasen und Krisen gehören zur Dynamik der Marktwirtschaft, wie der Schatten zum Licht. Der Ökonom Joseph A. Schumpeter** hat in diesem Zusammenhang schon vor 100 Jahren von schöpferischer Zerstörung gesprochen. Veraltete Strukturen werden in Krisen aufgebrochen und Innovationen erhalten ihre Chance. Nach der Krise ist vor der Krise.
In meinen Vorlesungen behandle ich denn auch die verschiedenen Formen des Marktversagens so ausführlich, dass ich manchmal befürchte, meine Studenten werden in Kürze scharfe Gegner der Marktwirtschaft sein. Das wäre paradox.
Ebenso paradox wie die ständige Marktkritik, die nicht abzuwägen vermag zwischen Vor- und Nachteilen, die sich – auf marktwirtschaftlichem Wohlstand gebettet – einseitig und undifferenziert den Mängeln zuwendet, ohne Alternativen liefern zu können und die die dabei eines vergisst:
Das, was die Demokratie für die Politik, ist der Markt für die Wirtschaft: die schlechteste aller Formen, abgesehen von allen anderen.
Nicht nur wird der Markt verteufelt, auch das Wirtschaftswachstum. Diese Kritik kommt oft wohlfeil daher und sie endet jeweils abrupt, wenn es um soziale Sicherheit, Altersvorsorge, Arbeitslosigkeit, die Finanzierung der Gesundheitsversorgung oder die Armutsbekämpfung geht. Durch Umverteilung lässt sich zwar ein gewisser Ausgleich erreichen. Weil durch ihn aber gleichzeitig die Anreize gegen Verschwendung und für Innovation untergraben werden und uns zudem die Demographie mit schöner Regelmässigkeit einen Strich durch die ökonomische Rechnung macht, lassen sich all diese Probleme nur durch Wirtschaftswachstum nachhaltig angehen. Das dürfte inzwischen allen Parteien, von links bis rechts, jenseits aller Rhetorik klar sein.
Erfolgreiche Armutsbekämpfung
Was der Markt für die Menschen zu leisten vermag, zeigen die kürzlich an der Jahrestagung von Weltbank und Währungsfonds publizierten Zahlen eindrücklich. Im Bereich der Armutsbekämpfung wurden seit 1990 enorme Erfolge erzielt. Niemals zuvor hat eine so grosse Zahl von Menschen einen derartigen materiellen Reichtum geniessen dürfen.
Insbesondere die extreme Armut, welche unter einer Grenze von 1.25 US$ pro Person und Tag liegt, hat stark abgenommen. Während der Anteil der sehr armen Bevölkerung im Jahre 1990 weltweit noch bei 36,4% lag, waren es im Jahre 2011 noch 14,5%. Auch wenn die hierbei verwendeten Zahlen auf wackligen Füssen stehen (insbesondere weil in vielen armen Ländern ein grosser informeller Sektor mit Schwarzmärken und Selbstversorgung besteht; vgl. meinen Blogeintrag hier), mag dies dennoch ein deutlicher Hinweis auf die positive Wirkung eines zunehmend globalisierten Wirtschaftswachstums sein.
Besonders eindrücklich sind die Erfolge in Asien und im Pazifik. In Südasien sank der Anteil der Bevölkerung in bitterer Armut von 53,2% (1990) auf 24,5% (2011) und in Ostasien / Pazifik gar von 58,2% (1990) auf nurmehr 7,9% (2011). Berücksichtig man dabei zudem, dass die Bevölkerung in diesem Zeitraum enorm gewachsen ist, zeigt sich, dass weit über eine Milliarde Menschen der extremen Armut aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung entfliehen konnte. – Das grösste Sorgenkind ist und bleibt allerdings Afrika, insbesondere südlich der Sahara. Hier betrug der Armutsanteil auch 2011 noch 46,8% (weitere Details: NZZ vom 10. Okt. 14 als PDF). Aufgrund des kolonialherrschaftlichen Erbes, einhergehend mit politischer Instabilität und Korruption sowie ausgeprägter Misswirtschaft, ist die Armutsbekämpfung auf diesem Kontinent notorisch schwierig.
Selbstverständlich mag man die Erfolge in der Armutsbekämpfung sogleich dämpfen mit dem Hinweis darauf, dass das Wachstum zumindest teilweise zulasten der Umwelt und der natürlichen Ressourcen ging und natürlich mag man einwenden, dass die Industrieländer ebenfalls und vielleicht noch stärker vom Wachstum profitiert hätten.
Dennoch darf nicht vergessen werden, dass eine grosse Zahl von Ländern von einem deutlichen Anstieg der Einkommen der ärmsten 40% profitiert hat. Von den 86 ärmsten Ländern, welche im Zeitraum 2005 bis 2011 untersucht wurden, wiesen 58 Länder ein überdurchschnittliches Einkommenswachstum der ärmsten Schichten auf. In 18 Ländern hat sich deren relative Situation allerdings verschlechtert. Die Verbesserungen der ökonomischen Verhältnisse erfolgten also auf breiter Front, aber leider nicht durchgängig.
Globalisierung trägt Früchte
Es gibt noch einen weiteren Hinweis auf eine positive Entwicklung der Verhältnisse. Dem soeben veröffentlichten World Trade Report 2014 der WTO ist zu entnehmen, dass die Entwicklungsländer einen Grossteil des Wachstums der letzten Dekade der Öffnung ihrer Märkte zu verdanken haben. Diese Länder weisen einen ständig steigenden Anteil an der globalen Wertschöpfungskette auf.
Durch diese erfreuliche Integration in die zunehmend globalisierten Märkte erhöhte sich der Anteil der Entwicklungsländer an der weltweiten Güterproduktion im Zeitraum 2000 bis 2012 von 23% auf 40% und der Anteil am Welthandel von 33% auf 48%. Hieraus resultierte ein im Vergleich zu den Industriestaaten weitaus stärkeres Wachstum des Bruttoinlandprodukts pro Kopf, was wiederum zu einer Reduktion der Armut führte.
Interessant ist ein weiterer Umstand. Während Entwicklungs- und Schwellenländer in früheren Dekaden primär als Zulieferer von Teilen und Komponenten von Produkten für die Industriestaaten dienten, entfallen heutzutage rund 25% dieses Handels auf Lieferungen zwischen Entwicklungsländern. Hierdurch erhöht sich deren wirtschaftliche Unabhängigkeit und das klassische Nord-Süd-Gefälle nimmt ständig ab.
Obwohl hunderte von Millionen Menschen von dieser Entwicklung profitieren, gibt es leider auch negative Ausnahmen. Armen Ländern, welche über schlechte Infrastrukturen, geringe Rechtsstaatlichkeit, hohe Zölle und qualitativ minderwertige Produkte verfügen, fällt die Integration in die internationalen Wertschöpfungsketten nach wie vor schwer.
Fazit
Abschliessend ist es richtig, dass Märkte Regeln brauchen und dass diese Regeln immer wieder neu definiert und durchgesetzt werden müssen. Ebenso richtig ist aber auch, dass Märkte uns ungeahnte materielle Möglichkeiten schaffen können, wenn sie nicht unnötig gefesselt werden.
Historisch ist jedenfalls kein Fall bekannt, wo ein Land durch Freihandel in den Ruin getrieben wurde. Umgekehrt gibt es in der Geschichte genügend Fälle, wo Isolation und wirtschaftliche Abschottung zu ökonomischem und anderem Elend geführt haben. Seit dem Niedergang des Ostblocks gibt es glücklicherweise nurmehr wenige Beispiele, wie Kuba (welches sich allerdings schrittweise öffnet, Märkte, Handel und Unternehmertum vermehrt akzeptiert) und Nordkorea, wo die Abschottung zur Verelendung des Volkes geführt hat.
Glück im allgemeinen Sinne ist damit freilich noch lange nicht garantiert, denn Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich. Dennoch ist klar, dass das unglücklich sein wesentlich leichter fällt, wenn man nicht arm ist.
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*Soeben hat die EU drei Banken wegen Absprachen bei der Begebung von Zinsderivaten und der Manipulation eines Referenzzinssatzes eine Millionenstrafe auferlegt. Die EU-Kommission deckte in zwei Fällen wettbewerbswidrige Praktiken der Geldhäuser auf, die deshalb insgesamt mit Strafen von 94 Millionen Euro belegt werden. Die Banken stimmten der Zahlung zu, um die Verfahren beilegen zu können, wie die EU-Kommission mitteilte.
**Joseph Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin 1912,