10.11.2012

Ärzte frei lassen…

…nicht stoppen.

Wer bestimmt, wie viele Tankstellen oder Restaurants es bei uns gibt? Der Markt. Niemand käme auf die Idee, dass der Staat hier etwas zu suchen hätte. Es herrscht Handels- und Gewerbefreiheit in der Schweiz. Aber nicht ganz. Ein Berufsstand hat sich bislang erfolgreich gegen Liberalisierung und Wettbewerb gewehrt – die Ärzteschaft.  Während sie sich im letzten Abstimmungskampf vehement für „freie Arztwahl“ seitens der Versicherten einsetzte, wehrt sie sich noch stärker gegen die „freie Arztwahl“ seitens der Versicherer. Die aktuelle Diskussion um die Wiedereinführung des Ärztestopps in der Schweiz ist völlig unnötig, denn dieser ist nur das Ergebnis einer Kette von Regulierungen.

Ausgangslage

Eingeführt wurde der Zulassungsstopp für niedergelassene Ärzte im Jahre 2002. Absicht war die Senkung der Gesundheitskosten durch eine Angebotsbeschränkung. Umgesetzt wurde die Massnahmen aber nur teilweise, denn die Zahl der Ärzte stieg kontinuierlich an. Insbesondere im Bereich der Grundversorgung gaben die Kantone zusätzliche Bewilligungen heraus, was teilweise auf vermehrte Teilzeittätigkeit –  vor allem von Frauen, aber auch von Pensionisten –  zurückzuführen ist.

Dieser Zustand wurde 2010 legalisiert, in dem der Stopp nur noch für Spezialärzte galt. Per Ende 2011 wurde die befristete Massnahme vom Parlament nicht weiter verlängert. In der Folge haben bis Ende September 2012 über 1500 Ärzte eine Abrechnungsnummer beantragt. Das sind 600 mehr als im ganzen Jahr 2011. Gesundheitsminister Alain Berset will die Zulassungsbeschränkung für Spezialärzte deshalb auf drei Jahre befristet wieder einführen.

Die Ärztegesellschaft (FMH) und die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) teilen die Bedenken bezüglich eines Kostenanstiegs, möchten die Detailregulierung allerdings an die Kantone delegieren, um deren unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigen zu können.

Um aber zu verstehen, warum es sich bei diesem Ansinnen um eine eigentlich obsolete Re-Regulierung handelt, muss man den

Rattenschwanz der Regulierung

im Gesundheitswesen kennen. Der beginnt bei einer obligatorischen Grundversicherung, die für alle Versicherten den selben Leistungskatalog verordnet und deren Prämien nicht risikogerecht ausgestaltet sind.

Dieser erste Regulierungsschritt sieht harmlos aus, ist es aber nicht. Denn er führt dazu, dass sich der Wettbewerb unter den Kassen auf Minimierung der Verwaltungskosten, eine gewisse Kundenfreundlichkeit, die Jagd nach guten Risiken sowie den Verkauf von Zusatzversicherungen beschränkt. Ein echter Preis-Leistungs-Wettbewerb, wie wir ihn in anderen Bereichen der Wirtschaft kennen, ist damit in der Grundversicherung ausgeschlossen. Und je umfangreicher der obligatorische Leistungskatalog wird – etwa im Bereich der Komplementärmedizin – , umso kleiner wird der wettbewerbliche Bereich der Zusatzversicherungen.

Auf der nächsten Regulierungsstufe finden wir deshalb einen staatlichen Risikoausgleichsmechanismus zwischen den Kassen, der allerdings bislang ungenügend funktioniert und die Jagd nach guten Risiken noch immer begünstigt.

Zudem wäre ein echter Wettbewerb unter den Kassen nötig, um diese zu disziplinieren. Dies ist nämlich die Voraussetzung, um eine weitere, unnötige Regulierungsstufe abschaffen zu können, nämlich den Kontrahierungszwang.

Nirgends sonst besteht aber die Situation, dass alle zugelassenen Ärzte automatisch, d.h. ohne zusätzliche Verträge, zulasten der obligatorischen Grundversicherung abrechnen können. In unseren Nachbarländern beträgt der Anteil der Kassenärzte 40 bis 70 Prozent, in der Schweiz 100 Prozent. Jede neue Praxis belastet die Grundversicherung mit 300‘000 bis 500‘000 Franken jährlich, manche Spezialpraxen noch weitaus mehr.

Regulierter Wettbewerb

Sobald die Versicherer in einem regulierten Wettbewerb stehen, wie etwa in den Niederlanden, kann man ihnen die Wahl der Vertragspartner – sprich niedergelassene Ärzte, Spitäler und andere Leistungserbringer – überlassen. Und dann, ja dann, kann man den Ärztestopp getrost aufheben, denn die Zahl der Ärzte reguliert sich dann über privatrechtliche Verträge und nicht über staatliche Regulierungen, wie es in einer Marktwirtschaft normal wäre.

Man sieht, die unselige Diskussion um die Ärztezulassung ist das Ergebnis einer langen Kette von Regulierungen und Re-Regulierungen.

Im Kern muss der Wettbewerb zwischen den Kassen neu geregelt werden, damit ein Rattenschwanz der Regulierung abgeschnitten werden kann. Beispielsweise müssten die Kassen auch in der Grundversicherung Gewinne machen dürfen. Zugleich muss aber auch die Entstehung eines Oligopols mit Marktmacht für wenige grosse Kassen verhindert werden. Die Niederlande verfügt seit einigen Jahren über entsprechende Erfahrungen.

Doch bis dahin ist der politische Weg noch lang. Der Widerstand der Ärzteschaft und der politischen Linken ist ebenso gross, wie das Misstrauen gegenüber den Krankenkassen und dem Wettbewerb generell. In der Zwischenzeit gäbe es noch eine Alternative zur administrativen Regulierung der Ärztezahlen.

Zahnärzte machen es vor

In jedem normalen Markt richtet sich das Angebot nach den Verdienst- und Gewinnmöglichkeiten. Neue Tankstellen, Restaurants und Coiffeursalons entstehen dort, wo eine entsprechende Nachfrage existiert. Der Staat regelt weder Zahl noch Standort.

Den Beweis, dass die Allokation über den Markt auch im Gesundheitswesen funktionieren kann, liefern die niedergelassenen Zahnärzte. Sie verfügen über keine staatliche Abnahmegarantie für ihre Leistungen. Die allermeisten Kunden sind Selbstzahler. Obwohl sie ihr Angebot und ihren Standort nach freien, unternehmerischen Gesichtspunkten wählen, ist die flächendeckende Landesversorgung in guter Qualität gewährleistet.

In Analogie zu den Zahnärzten, lässt sich die Berufs- und Standortwahl der übrigen ambulanten Ärzte anhand eines einfachen Modells einem Markt nachbilden. Das Prinzip ist einfach:

Der Taxpunktwert (TPW), welcher den Preis für ambulante Leistungen darstellt, wird heute kantonal für alle ambulanten Ärzte festgelegt. Neu würde bei der Festlegung des TPW auch die Ärztedichte in einem Gebiet oder in einer Stadt berücksichtigt. Überall dort, wo bereits eine gute Versorgung besteht, ist der TPW für neue Ärzte tiefer. Andererseits ist der TPW überall dort besonders hoch, wo Ärztemangel herrscht, z.B. in ländlichen Regionen, sodass hier ein zusätzlicher Anreiz für die Übernahme einer Praxis besteht.

Diese Differenzierung über den TPW lässt sich nicht nur auf räumliche Unterschiede, sondern auch auf Ungleichgewichte zwischen verschiedenen Spezialisierungen anwenden. So würde es möglich, dass ein seltener Grundversorger im Toggenburg einen höheren TPW erhält, als ein häufiger Spezialist in Genf. – Auch regionale Modelle, welche nicht an der Kantonsgrenze enden, sind selbstverständlich möglich und überall dort nötig, wo die Patientenströme stark überkantonal sind.

Die Besserstellung der Grundversorgungsleistungen, im Vergleich zu den technischen Leistungen im Rahmen des medizinischen Tarifs TARMED — welche schon seit dessen Einführung angestrebt, aber nie realisiert wurde — liesse sich mit diesem Modell ebenfalls erreichen.

Das Modell der Taxpunktdifferenzierung ist im Vergleich zur oben diskutierten grundsätzlichen Lösung nur ein Behelfsmittel, aber es ist wesentlich effizienter als eine endlose Weiterführung des allseits ungeliebten Ärtzestopps.

Kommentare

Sehr geehrter Herr Slembeck

Wie ich merke kennen sie sich in der Gesundheitsbranche gut aus. Darum möchte ich die Chance nicht missen mir die Geschichte um die Grundversicherung näher erklären zu lassen.

Sie sagen, die Grundversicherung und die Regelungen rundherum würden den Wettbewerb massgeblich einschränken.

Für mich ist es jedoch schlichtweg logisch, dass wenn man etwas gesetzlich vorschreibt, es genaue Regelungen bezüglich der Leistungen geben muss. Wie dies ebenfalls bei der MFZ Haftpflichtversicherung und einigen anderen Versicherungen der Fall ist.

Niemand jedoch würde argumentieren, dass der Wettbewerb bei MFZ Versicherung ausgeschaltet ist weil die obligatirische Haftpflichversicherung stark reglementiert ist. Oder Irre ich mich?

Weiter sagen sie dass die Prämien nicht riskogerecht seien. Warum nicht? In der ausgestaltung der Prämie ist der Versicherer frei, oder etwa nicht?

Vielen Dank und ein schönes Wochenende

Luc Zehnder

Lieber Herr Zehnder,
die Haftpflichtversicherung bei Motorfahrzeugen ist wesentlich weniger stark reguliert als die OKP, umfasst nur eine Leistung (die Schadensdeckung) und erlaubt risikogerechte Prämien. In der OKP sind die Prämien lediglich nach Alter und Geschlecht abgestuft, der Leistungskatalog ist umfangreich und normiert. Das sind massive Unterschiede, welche das Spiel fundamental ändern.
Sozialversicherungen, welche eben auch eine sozialpolitische Komponente beinhalten, lassen sich nur schwer mit anderen Versicherungen vergleichen.

[...] besteht die Möglichkeit eines Mittelwegs. Wie ich in diesem Blog bereits 2012 ausführlich diskutiert habe, kann die Entschädigung der niedergelassenen Ärzteschaft von der [...]

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