Etwa ein mal pro Dekade wird die Frage gestellt, ob sich die Schweiz für die Austragung olympischer Spiele bewerben soll. Jetzt ist es wieder so weit. St. Moritz und Davos erwägen eine Kandidatur für das Jahr 2022. Die Ski-Ikone Bernhard Russi meint, dass der Zeitpunkt schon lange nicht mehr so günstig war. Russi spielt damit nicht auf die Kosten, sondern die vergabepolitische Situation beim internationalen olympischen Komitee (IOC) an. – Ökonomisch betrachtet stellt sich eine andere Frage: Sollten wir Olympia als Investition oder als Konsum betrachten?
Wenn es um eine Olympiakandidatur geht, ist zunächst vieles offen. Man fragt sich, ob die Durchführung der Spiele im Bündnerland organisatorisch machbar, ökologisch nachhaltig und finanziell tragbar sein kann. Kostenseitig steht die Summe von 4.5 Milliarden Franken im Raum. Davon entfallen 2.8 Milliarden auf die Spiele selbst und rund 1.7 Milliarden betreffen Ausgaben für die Infrastruktur.
Bei Einnahmen von 1.5 Milliarden ergibt sich ein geschätztes Defizit von 3 Milliarden. Der Bund hat signalisiert, dass er davon 1 Milliarde übernehmen könnte. Zur Begleichung des Rests hat sich noch niemand vorgedrängt.
Doch die Befürworter des Grossanlasses verströmen Optimismus. Sie argumentieren, dass es sich um ein Generationenprojekt und eine „Investition in die Zukunft“ handle. Gemeint ist wohl die internationale Aufmerksamkeit und eine Politur der in die Jahre gekommenen Marke Graubünden, wenn Bilder unserer verschneiten Berge um die Welt gehen. Das muss neue Touristen in Scharen anziehen.
Was ist von dieser „Investition“ zu halten?
Blickt man auf die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zurück, scheint es höchst ungewiss, ob ein Land oder Ort tatsächlich von der Austragung der Spiele profitiert. Kurzfristige Effekte auf Wertschöpfung und Beschäftigung im Bausektor und der Tourismusindustrie sind zwar ebenso gewiss, wie höhere Hotel- und Bodenpreise. Verbesserungen der lokalen Infrastruktur und nicht-monetäre Wirkungen, wie gestärkter Nationalstolz, sind auch zu erwarten. Doch nachhaltige Wirkungen im Kampf der Wintersportdestinationen um Präsenz im touristischen Bewusstsein und um neue Kundschaft, lassen sich aber schwerlich nachweisen.*
Zwar erinnert man sich vielleicht daran, dass die letzten Spiele 2006 in Turin und 2010 in Vancouver stattfanden, doch wer von uns ist hin gefahren oder hat später seine Ferien dort verbracht? Die Schweizer wohl eher nicht, aber vielleicht die Asiaten? – Was aber mit Sicherheit von Olympia bleibt, ist sind Schulden. So schrieb die New York Times im Februar 2010 bezüglich Vancouver:
The immediate legacy for this city of 580,000 is a nearly $1 billion debt from bailing out the Olympic Village development. Beyond that, people in Vancouver and British Columbia have already seen cuts in services like education, health care and arts financing from their provincial government, which stuck with many other Olympics-related costs.
Sollten wir uns von solchen Zahlen abschrecken lassen?
Vermutlich nicht. Wir sollten uns nur nicht einreden lassen, dass es sich bei Olympia um eine tolle Investition handelt. Stattdessen könnte es sich um tollen Konsum handeln. Wir könnten ganz einfach Freude daran haben, eine Zeit lang im Mittelpunkt des Weltinteresses zu stehen. Und daran, die Spiele direkt vor der Haustüre mit zu verfolgen. Die Frage lautet dann nicht, ob sich die olympischen Spiele lohnen, sondern ob wir sie uns leisten wollen. Das wäre ehrlicher.
Beantwortet werden muss diese Frage freilich auf demokratischem Wege. An der Urne ist zu entscheiden, wieviel uns der Spass an Olympia wert ist. Die Bündner haben dazu im März 2013 erstmals Gelegenheit. Bei einem Ja entscheidet die Bundesversammlung dann im Sommer 13 über eine referendumsfähige Kreditvorlage. Anders als bei der Expo 02, welche ein Milliardendefizit einfuhr, kann hier das Volk die Notbremse ziehen.
Ökonomisch und ökologisch betrachtet wäre es ohnehin am sinnvollsten, die olympischen Spiele nur an zwei Orten stattfinden zu lassen – an einem Austragungsort für die Winter- und einem für die Sommersportarten. Ein grosser Nachteil dabei wäre allerdings, dass aufgrund der Zeitverschiebung immer nur der selbe Teil der Weltbevölkerung die Spiele direkt live verfolgen könnte. Das Interesse könnte damit in gewissen Weltregionen stark sinken und dadurch die Werbeeinnahmen zurück gehen. Zudem gibt es für das Durchführungsland einen statistisch klar nachweisbaren Heimvorteil (siehe Blogeintrag). In sportlicher Hinsicht wäre das nicht optimal.
Somit wird es wohl beim Rotationsprinzip bleiben. Falls sich die Schweiz bei diesem Roulette beteiligen will, sollte sie ihr finanzielles Engagement ehrlicherweise als Konsum eines einzigartigen Grossanlasses betrachten und nicht auf einen Return on Investment schielen.
*Ein guter Übersichtsartikel ist:
Zimbalist, Andrew. “economic impact of the Olympic Games.” The New Palgrave Dictionary of Economics. Online Edition. Eds. Steven N. Durlauf and Lawrence E. Blume. Palgrave Macmillan, 2011.