…sind kein Widerspruch
Momentan wird in der öffentlichen Debatte um die Finanzkrise in Europa so getan, als ob Sparen wirtschaftliches Wachstum verhindern würde. Wenn Europa so viel spart, kann es nicht mehr wachsen, meinte kürzlich etwa der Keynesianer Joseph Stiglitz. Das ist Unsinn, denn solide Staatshaushalte sind eine Voraussetzung für langfristiges Wachstum. Mit zusätzlichen Schulden lässt sich dieses nicht herbeizaubern. Voodoo-Economics gehören in den Zoo.
Wie ich hier beschrieben habe, bedeutet Sparen heutzutage nicht wirklich Sparen sondern nur, dass die Staaten ihre Defizite reduzieren. Die Folge sind tiefere Zinsen und höhere private Investitionen – im Fachjargon weniger crowding out – und das ist gut für Wachstum.
Das Argument der Spargegner impliziert, dass Wachstum nur mit zusätzlichen Schulden (sprich weniger Sparen) möglich ist. Das wäre schön, ist aber in aller Regel falsch. Abgesehen von den Bereichen Bildung, Forschung und Infrastruktur gibt es kaum Möglichkeiten, durch staatliche Ausgaben das langfristige Wachstum nachhaltig anzukurbeln.
Die Literatur zur Wachstumsempirie zeigt jedenfalls klar, dass sich durch keynesianische Nachfragepolitik allenfalls kleine konjunkturelle Dellen, etwa bei der Arbeitslosigkeit, ausbeulen, nicht aber neue Wachstumspfade beschreiten lassen.
Neue Studien für die USA zeigen*, dass der Staatsausgabenmultiplikator im Normalfall höchstens etwa 1 beträgt. Dies bedeutet, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) um 1 Million steigt, wenn der Staat 1 Million zusätzlich ausgibt. Es ist schon eine reife Leistung, wenn der Multiplikator 1.5 beträgt. Voraussetzung ist aber, dass der Stimulus zeitlich optimal erfolgt. So haben in der Schweiz Impulsprogramme ihr Ziel in der Vergangenheit jeweils verfehlt, weil sie zu spät kamen und damit einen Boom verstärkten, statt einen Abschwung zu verhindern oder mildern.**
Studien für Deutschland weisen durchs Band geringe Wachstumswirkungen von ausgabenseitigen Fiskalimpulsen aus. Der deutsche Sachverständigenrat hielt 2009 fest: «Im Vergleich zur internationalen Evidenz fällt die Reaktion des Bruttoinlandsprodukts im deutschen Fall in der Tendenz geringer aus und die Multiplikatoren sind durchweg kleiner als eins.»***
Neben dem Timing spielen auch die Art der Ausgaben, deren Dauerhaftigkeit (einmalig oder längerfristig) sowie die Finanzierung eine Rolle. Besonders sinnlos sind einmalige Konsumausgaben (z.B. beim Militär), welche defizitfinanziert sind.
Obwohl gerade solche Massnahmen bei Politikern besonders beliebt sind, weil sie kurzfristig ausgelöst werden können (z.B. Realisierung bereits geplanter Bauprojekte), kann der Multiplikator gerne auch mal 0.5 oder weniger betragen. Das heisst, aus jeder Million Staatsausgaben werden nur 0.5 Millionen an BIP.
Gerade bei den beliebten Bauausgaben wesentlich sind Mitnahmeeffekte, indem Projekte welche später realisiert oder aus anderen Quellen finanziert würden, zeitlich vorgezogen werden und umfangreicher Ausfallen, wenn sie aus zusätzlichen Mitteln bezahlt werden. Die Einmaligkeit bewirkt ein nettes Strohfeuer, aber die Schuldenfinanzierung treibt die allgemeinen Zinsen in die Höhe und reduziert den künftigen Handlungsspielraum der Regierung, indem Zins- und Rückzahlungen fällig werden.
Das Rezept für nachhaltiges Wirtschaftswachstum enthält andere Zutaten. Hier geht es um stabile und verlässliche Rahmenbedingungen, angemessene Steuern, gut ausgebildete Arbeitskräfte, freien Marktzugang (was nicht mit vollkommen entfesselten Märkten gleichzusetzen ist) sowie flexible Arbeitsmärkte, auf denen die Lohnentwicklung in etwa dem Produktivitätsfortschritt entspricht.
Damit ist in aller erster Linie der institutionelle Rahmen angesprochen. Weiteres Schuldenmachen gehört nicht dazu. Im Gegenteil ist die Verringerung der Defizite (alias „Sparen“), hin zu gesunden Staatsfinanzen, ein weiteres Element zu nachhaltigem Wachstum.
Was ich noch nicht erwähnt habe, ist der Voodoo-Ansatz. Dieser ist bei Politikern beliebt die glauben, ein besonders cleveres Argument für Ausgaben zugunsten der eigenen Klientel gefunden zu haben. Er besagt, dass der Staat durch Ausgaben Wachstum generieren könne (also der Multiplikator deutlich grösser als 1 sei), was zu zusätzlichen Steuereinnahmen führt, mit welchen dann die anfänglichen Ausgaben nachträglich finanziert werden können.
Wenn das korrekt wäre, hätte kein Land ein Wachstums-, noch ein Schuldenproblem…
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Nachtrag: Eine neue Analyse des Bundes argumentiert, dass das Ankurbelungsprogramm es Bundes von 840 Millionen CHF in den Jahren 2009/2010 gewisse positive Wirkungen, vornehmlich auf die Bauwirtschaft, hatte. Allerdings hätte man sich die Hälfte davon sparen können, weil die Wirtschaft 2010 bereits wieder deutlich wuchs. Das übliche Problem des Timings solcher Massnahmen. — Kleine Volkswirtschaften mit hohem Inportanteil haben zudem notorisch bescheidene Multiplikatoren… Nachlesen in der NZZ vom 16.5.12.
Quellen
*Ramey, V.E. (2011): Can Government Purchases Stimulate the Economy? Journal of Economic Literature, Vol. 49 No. 3, 673-685.
**Schaltegger, Christoph A. / Weder, Martin (2010): Fiskalpolitik als antizyklisches Instrument? Eine Betrachtung der Schweiz, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Vol. 11 No. 2, 146-177.
*** Bode/Gerke/Schellhorn (2009): Die Wirkung fiskalischer Schocks auf das Bruttoinlandsprodukt, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, November 2009.
Roos, Michael W.M. (2007): Die makroökonomischen Wirkungen diskretionärer Fiskalpolitik in Deutschland – Was wissen wir empirisch?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Vol. 8 Nr. 4, 293–308, November 2007.