8.05.2012

Sparen und Wachstum

…sind kein Widerspruch

Momentan wird in der öffentlichen Debatte um die Finanzkrise in Europa so getan, als ob Sparen wirtschaftliches Wachstum verhindern würde. Wenn Europa so viel spart, kann es nicht mehr wachsen, meinte kürzlich etwa der Keynesianer Joseph Stiglitz. Das ist Unsinn, denn solide Staatshaushalte sind eine Voraussetzung für langfristiges Wachstum. Mit zusätzlichen Schulden lässt sich dieses nicht herbeizaubern. Voodoo-Economics gehören in den Zoo.

Wie ich hier beschrieben habe, bedeutet Sparen heutzutage nicht wirklich Sparen sondern nur, dass die Staaten ihre Defizite reduzieren. Die Folge sind tiefere Zinsen und höhere private Investitionen – im Fachjargon weniger crowding out – und das ist gut für Wachstum.

Das Argument der Spargegner impliziert, dass Wachstum nur mit zusätzlichen Schulden (sprich weniger Sparen) möglich ist. Das wäre schön, ist aber in aller Regel falsch. Abgesehen von den Bereichen Bildung, Forschung und Infrastruktur gibt es kaum Möglichkeiten, durch staatliche Ausgaben das langfristige Wachstum nachhaltig anzukurbeln.

Die Literatur zur Wachstumsempirie zeigt jedenfalls klar, dass sich durch keynesianische Nachfragepolitik allenfalls kleine konjunkturelle Dellen, etwa bei der Arbeitslosigkeit, ausbeulen, nicht aber neue Wachstumspfade beschreiten lassen.

Neue Studien für die USA zeigen*, dass der Staatsausgabenmultiplikator im Normalfall höchstens etwa 1 beträgt. Dies bedeutet, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) um 1 Million steigt, wenn der Staat 1 Million zusätzlich ausgibt. Es ist schon eine reife Leistung, wenn der Multiplikator 1.5 beträgt. Voraussetzung ist aber, dass der Stimulus zeitlich optimal erfolgt. So haben in der Schweiz Impulsprogramme ihr Ziel in der Vergangenheit jeweils verfehlt, weil sie zu spät kamen und damit einen Boom verstärkten, statt einen Abschwung zu verhindern oder mildern.**

Studien für Deutschland weisen durchs Band geringe Wachstumswirkungen von ausgabenseitigen Fiskalimpulsen aus. Der deutsche Sachverständigenrat hielt 2009 fest: «Im Vergleich zur internationalen Evidenz fällt die Reaktion des Bruttoinlandsprodukts im deutschen Fall in der Tendenz geringer aus und die Multiplikatoren sind durchweg kleiner als eins.»***

Neben dem Timing spielen auch die Art der Ausgaben, deren Dauerhaftigkeit (einmalig oder längerfristig) sowie die Finanzierung eine Rolle. Besonders sinnlos sind einmalige Konsumausgaben (z.B. beim Militär), welche defizitfinanziert sind.

Obwohl gerade solche Massnahmen bei Politikern besonders beliebt sind, weil sie kurzfristig ausgelöst werden können (z.B. Realisierung bereits geplanter Bauprojekte), kann der Multiplikator gerne auch mal 0.5 oder weniger betragen. Das heisst, aus jeder Million Staatsausgaben werden nur 0.5 Millionen an BIP.

Gerade bei den beliebten Bauausgaben wesentlich sind Mitnahmeeffekte, indem Projekte welche später realisiert oder aus anderen Quellen finanziert würden, zeitlich vorgezogen werden und umfangreicher Ausfallen, wenn sie aus zusätzlichen Mitteln bezahlt werden. Die Einmaligkeit bewirkt ein nettes Strohfeuer, aber die Schuldenfinanzierung treibt die allgemeinen Zinsen in die Höhe und reduziert den künftigen Handlungsspielraum der Regierung, indem Zins- und Rückzahlungen fällig werden.

Das Rezept für nachhaltiges Wirtschaftswachstum enthält andere Zutaten. Hier geht es um stabile und verlässliche Rahmenbedingungen, angemessene Steuern, gut ausgebildete Arbeitskräfte, freien Marktzugang (was nicht mit vollkommen entfesselten Märkten gleichzusetzen ist) sowie flexible Arbeitsmärkte, auf denen die Lohnentwicklung in etwa dem Produktivitätsfortschritt entspricht.

Damit ist in aller erster Linie der institutionelle Rahmen angesprochen. Weiteres Schuldenmachen gehört nicht dazu. Im Gegenteil ist die Verringerung der Defizite (alias „Sparen“), hin zu gesunden Staatsfinanzen, ein weiteres Element zu nachhaltigem Wachstum.

Was ich noch nicht erwähnt habe, ist der Voodoo-Ansatz. Dieser ist bei Politikern beliebt die glauben, ein besonders cleveres Argument für Ausgaben zugunsten der eigenen Klientel gefunden zu haben. Er besagt, dass der Staat durch Ausgaben Wachstum generieren könne (also der Multiplikator deutlich grösser als 1 sei), was zu zusätzlichen Steuereinnahmen führt, mit welchen dann die anfänglichen Ausgaben nachträglich finanziert werden können.

Wenn das korrekt wäre, hätte kein Land ein Wachstums-, noch ein Schuldenproblem…

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Nachtrag: Eine neue Analyse des Bundes argumentiert, dass das Ankurbelungsprogramm es Bundes von 840 Millionen CHF in den Jahren 2009/2010 gewisse positive Wirkungen, vornehmlich auf die Bauwirtschaft, hatte. Allerdings hätte man sich die Hälfte davon sparen können, weil die Wirtschaft 2010 bereits wieder deutlich wuchs. Das übliche Problem des Timings solcher Massnahmen. — Kleine Volkswirtschaften mit hohem Inportanteil haben  zudem notorisch bescheidene Multiplikatoren… Nachlesen in der NZZ vom 16.5.12.

Quellen

*Ramey, V.E. (2011): Can Government Purchases Stimulate the Economy? Journal of Economic Literature, Vol. 49 No. 3, 673-685.

**Schaltegger, Christoph A. / Weder, Martin (2010): Fiskalpolitik als antizyklisches Instrument? Eine Betrachtung der Schweiz, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Vol. 11 No. 2, 146-177.

*** Bode/Gerke/Schellhorn (2009): Die Wirkung fiskalischer Schocks auf das Bruttoinlandsprodukt, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, November 2009.

Roos, Michael W.M. (2007): Die makroökonomischen Wirkungen diskretionärer Fiskalpolitik in Deutschland – Was wissen wir empirisch?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Vol. 8 Nr. 4,  293–308, November 2007.

Kommentare

…Eine sehr interessante Betrachtungsweise….Ich finde es ebenfalls ein totaler Unsinn zu behaupten, dass ein Wachstum nur auf Schulden beruht….Dies sind politische Motive. Die Schuldenkrise in Eoropa koennte man durchaus mit einem gesunden MIX aus Schuldenschnitt, EZB Anleihenaufkauf und einem fuer die Zukunft streng gehaltenem Fiskalpakt zu einem grossen Teil loesen. Die Frage ist, moechte die Politik dass auch, oder sind gewisse Interessen wieder zu stark und es muss wieder ein Unheil geschehen bis es geloest wird……!

@Kauf von Staatsschulden durch die EZB
Da ist grösste Zurückhaltung geboten. Zwar bieten solche Käufe für die betroffenen Schuldnerländer kurzfristige Erleichterung, doch können 1) im Falle der Insolvenz riesige Verluste bei der EZB auftreten, besteht 2) immanente Inflationsgefahr durch Monetisierung der Staatsschuld und 3) leidet die langfristige Haushaltsdisziplin, wenn ein anderer die Zeche zahlt (moral hazard).
Im Prinzip gilt das gleiche, wie bei den Eurobonds: Finger weg!

…Herr Slembeck…Ich teile Ihre Meinung…Aber ohne einige Opfer sehe ich keinen Ausweg aus dieser Misere…Jemand wird die Zeche zahlen muessen, leider!

Meine Frage Herr Slembeck: Waeren die Inflationsraten sehr hoch, wenn man alle Schulden weginflationieren wuerde? Ich meine angenommen wenn es zu einmalig 5% Abwertung fuehren wuerde und die massgebenden Schulden weg waeren, dies waere ja nicht so eine grosse Einbusse…oder sind 5% eine Illussion und die Abwertung waere extrem viel groesser….?

Wie hoch die Inflation tatsächlich wird, ist sehr schwer abzuschätzen, weil mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Denn 1. haben alle wichtigen Notenbanken in den letzten Jahren (seit 2008) sehr viel Liquidität in den Markt gepumpt, welche ohnehin abgeschöpft werden muss (z.B. die Schweiz, siehe hier).

Und 2. kommt es auf den Umfang der Käufe durch die EZB an, durch welche nochmals frisches Geld in den Markt kommt. Wenn es dumm läuft, könnten Inflatonsraten von über 10% resultieren.

Dann werden 4. die Guthaben der (Klein)Sparer entwertet und es kann zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen, die 5. in eine Stagflation (Inflation ohne Wirtschaftswachstum) mündet. Zudem würden die Zinsen steigen und ein europäischer Immobiliencrash wäre wahrscheinlich.

Weil sich dann 6. die Inflationserwartungen nach oben anpassen (Anhebung der Philipskurve), kann eine solche Phase 5 bis 10 Jahre dauern. Wenn die ganze Euro-Zone betroffen wäre, was ich für wahrscheinlich halte, würde dies viele 100 Milliarden Euro an Wachstum kosten.

Die Phase des Inflationsrückgangs (Disinflation) kann rund 7 Jahre dauern. Die USA (Volcker disinflation) und Grossbritannien (Thatcher disinflation) haben damt sehr ungute Erfahrungen gemacht (hohe Arbeitslosigkeit). Vielleicht sehe ich es zu schwarz, aber es wäre ein Spiel mit dem Freuer, vor dem man wirklich nur warnen kann.

Zudem besteht das Moral Hazard Problem: Wenn die EZB systematisch nationale Staatsschulden aufkauft, verringert sich der Anreiz für die Länder, ihre Haushalte in den Griff zu bekommen. Damit wird das Schuldenproblem verschlimmert, nicht beseitigt.

Literatur
Meltzer, A.H. (2006), “From Inflation to More Inflation, Disinflation, and Low Inflation”, American Economic Review 96 (2): 185–188.
Goodfriend, M.; King, R.G. (2005), “The incredible Volcker disinflation”, Journal of Monetary Economics 52 (5): 981–1015.

…..Absolut richtige Einschaetzungen…was mich einfach stoert ist, dass nichts richtig voran geht…unterschiedliche laender, unterschiedliche meinungen (interessen) …deutschland will z.B keine eurobonds, italien und frankreich wollen sie etc..

Eine Idee waere vielleicht auch eine Euro Bank zu gruenden…Wieso muss die EZB die Anleihen den Banken zu guenstigen Zinsen weiterleiten und die Staaten zahlen enorme Zinsen…Waere eine Ausgabe der Anleihen an die Staaten direkt nicht moeglich..? Man koennte die Zinslast doch deutlich senken…?

Schlussendlich werden diese Zinsen ja indirekt von den Buergern bezahlt, ob man das wiederum ein Rettungspaket nennen kann…? Rettungspaket fuer wenn?

Herr Slembeck sie sehen es nicht schwarz..Die Lage ist tod ernst und ich denke, dass wir vor einer epochalen Wende stehen…Jetzt muessen sich nur noch einige Laender zerstreiten und die Eskalation ist vorprogrammiert…!!

Guten Abend Herr Slembeck

Obwohl dieser Post bereits etwas älter ist, erlaube ich mir einen Kommentar dazu, da ich ihn als ziemlich einseitig empfinde.

Zunächst möchte ich festhalten, dass die Meinung von Stiglitz nicht dem Mainstream entspricht, welcher die aktuelle Debatte dominiert. Zudem schlägt Stiglitz meines Wissens genau Investitionen in die genannten Bereiche Bildung, Forschung und Infrastruktur vor. Staaten wie die USA, Grossbritannien oder Deutschland können sich momentan zu negativen Realzinsen verschulden und durch Investitionen in diese Bereiche eine positive Rendite erzielen, da diese den Output fördern. Die Crowding-Out-Problematik dürfte in der aktuellen Situation in Anbetracht des Einbruchs der privaten Investitionen vernachlässigbar sein.

Selbstverständlich sind die erwähnten strukturellen Reformen wünschenswert und in vielen Volkswirtschaften nötig, allerdings können diese mit schmerzhaften Einschnitten verbunden sein, was das aktuell schwache Wachstum sogar bremsen dürfte. Wieso soll die Fiskalpolitik insbesondere in Anbetracht der negativen Realzinsen nicht die Konjunktur fördern, was den Einbruch der Nachfrage des privaten Sektors lindert? Bildet nicht solides Wachstum eine Voraussetzung für strukturelle Reformen?

Bezüglich der Effektivität von fiskalpolitischen Massnahmen sollte auch berücksichtigt werden, dass in vielen Volkswirtschaften die Geldpolitik den Zero-Lower-Bound (ZLB) erreicht haben. Daher ist es auch kaum zu erwarten, dass der Effekt von konjunkturfördernden Massnahmen durch eine restriktive Geldpolitik aufgehoben wird, wie es auch DeLong und Summers (2012) in ihrem vieldiskutierten Paper ausführen.

Der ZLB ist auch relevant für den von Ihnen angesprochenen Multiplikator, so argumentieren beispielsweise Christiano, Eichenbaum und Rebelo (2011) oder Erceg und Lindé (2010), dass der Multiplikator in dieser Situation wesentlich höher als eins liegt. Relevant ist das auch für das Konzept der expansiven Sparpolitik, welche eher dem aktuellen Mainstream entspricht: Gemäss Kapitel 3 des IMF World Economic Outlooks (Oktober 2010) führt eine Defizitreduktion am ZLB zu stärkeren negativen Folgen für den Output.

Wie beispielsweise Guajardo, Leigh und Pescatori (2011) feststellen, hat eine restriktive Fiskalpolitik negative Folgen für die private Nachfrage und den Output. Leider scheint dies durch die jüngsten Daten von Ländern, die den Ansatz der expansiven Sparpolitik verfolgen, bestätigt zu werden. Insbesondere angesichts der hohen (Jugend-)Arbeitslosigkeit erscheint es mir zumindest prüfenswert, eine Abkehr von dieser Doktrin, die meiner Ansicht nach ebenfalls an Voodoo (oder den Glauben an die Confidence-Fairy, wie es Krugman ausdrückt) erinnert, in Betracht zu ziehen.

Quellen:

Christiano, Lawrence; Eichenbaum, Martin; Rebelo, Sergio (2011): When Is the Government Spending Multiplier Large? In: Journal of Political Economy 119 (1), S. 78–121.

DeLong, J. Bradford; Summers, Lawrence (2012): Fiscal Policy in a Depressed Economy.

Erceg, Christopher J.; Lindé, Jesper (2010): Is there a fiscal free lunch in a liquidity trap? Washington: Board of Governors of the Federal Reserve System.

Guajardo, Jaime; Leigh, Daniel; Pescatori, Andrea (2011): Expansionary austerity. New international evidence. Washington, D.C.: International Monetary Fund.

International Monetary Fund (2010): World Economic Outlook: October 2010: Recovery, Risk, and Rebalancing: Bernan Assoc.

Lieber Herr Sommer,
vielen Dank für Ihre spannenden Kommentare und Hinweise. Diese zeigen einmal mehr, wie schwierig allgemeine Aussagen in diesem Bereich sind. Das heisst, man müsste die Argumente, z.B. rund um den ZLB, im Detail — etwa bezogen auf ein konkretes Land — diskutieren.

Deshalb nur kurz zu Ihren beiden Fragen:

“Wieso soll die Fiskalpolitik insbesondere in Anbetracht der negativen Realzinsen nicht die Konjunktur fördern, was den Einbruch der Nachfrage des privaten Sektors lindert?”

Es ist schon möglich, konjunkturelle Dellen durch keynesianische Nachfragepolitik etwas auszubüglen (habe ich ja so geschrieben). Allerdings: ich spreche über Wachstum, nicht Konjunktur.

“Bildet nicht solides Wachstum eine Voraussetzung für strukturelle Reformen?”

Gute Frage. Ich sehe es eher umgekehrt: strukturelle Reformen, z.B. am Arbeitsmarkt, sind Voraussetzung für solides Wachstum.
Ein Land mit Strukturproblemen und grossem Staatssektor wird es kaum schaffen, zuerst solide zu wachsen und dann Reformen durchzuführen.

Zum Beispiel Griechenland. Eines von vielen strukturellen Problemen ist, dass der Exportsektor ausgesprochen schwach ist. Neben dem Tourismus gibt es wenig Exporte, weil kaum in andere Bereiche investiert wird. Reiche Griechen investieren seit Jahrzehnten lieber im Ausland. Ausländer auch. So lange das Investitionsklima nicht besser wird, steht es düster ums Wachstum… Da nützt auch eine Konjunkturankurbelung wenig.

Guten Abend Herr Slembeck

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Allgemeine Aussagen sind wohl in der Tat schwierig, trotzdem möchte ich auf der allgemeinen Ebene bleiben.

In Ihrem ursprünglichen Post schreiben Sie: “Abgesehen von den Bereichen Bildung, Forschung und Infrastruktur gibt es kaum Möglichkeiten, durch staatliche Ausgaben das langfristige Wachstum nachhaltig anzukurbeln.” Ich interpretiere das so, dass Investitionen der öffentlichen Hand in genau diese Sektoren also durchaus auch das Wachstum fördern können (entsprechende Opportunitäten natürlich vorausgesetzt).

Die Unterscheidung zwischen Konjunktur und Wachstum erscheint mir aber umso wichtiger in Bezug auf die zweite Frage, die ich anders hätte formulieren sollen (danke für den Hinweis). Eigentlich wollte (bzw. sollte) ich fragen, ob nicht Konjunkturpakete (idealerweise in der Form von Investitionen in die genannten Bereiche) allfällige negative kurzfristigen Auswirkungen von Strukturreformen lindern könnten.

Wäre solches Vorgehen insbesondere angesichts der zunehmenden Langzeitarbeitslosigkeit nicht wünschenswert? Wenn diese zu einer permanenten Erhöhung der Arbeitslosigkeit führt (ich denke hier an Hysteresis-Effekte, wie sie etwa von Summers und Blanchard (1989) und Ball (2009) geschildert werden), sprich die natürliche Arbeitslosenquote erhöht, hat das nicht auch negative Auswirkungen auf das Wachstum bzw. das potenzielle BIP?

Vielleicht sollte das Ziel einer expansiven Fiskalpolitik im oben beschriebenen Sinn also gar nicht unbedingt Förderung, sondern Bewahrung von Wachstum bzw. von Wachstumspotential sein. Auch so könnten Konjunkturpakete in der aktuellen Situation Einfluss auf das Wachstum haben: Durch die Verhinderung von negativen Effekten des anhaltenden Nachfrageeinbruchs auf das Wachstum.

Ein mögliches Rezept gegen die Krise könnte also in langfristigen ausgerichteten, strukturellen Wachstumsreformen zur Defizit- und Schuldenreduktion in Verbindung mit kurzfristigen flankierenden fiskalischen Massnahmen zur Förderung der Konjunktur (die sich idealerweise auf Bereiche wie Infrastruktur, Bildung und Froschung konzentrieren) bestehen, damit ohnehin konjunkturschwache Volkswirtschaften nicht noch zusätzlich durch massive Sparmassnahmen des Staates geschwächt werden. Zumindest scheint das Konzept von kompromisslosem Sparen als Conditio sine qua non für Wachstum sich nicht zu bestätigen.

PS: Leider habe ich in meinem ersten Kommentar die sehr interessante Analyse des Multiplikators von Staatsausgaben am ZLB von Woodford (2010) vergessen zu erwähnen.

Quellen:

Ball, Laurence M. (2009): Hysteresis in unemployment. Old and new evidence. Cambridge, Mass: National Bureau of Economic Research.

Summers, Lawrence H.; Blanchard, Olivier J. (1989): Hysteresis in Unemployment. Cambridge, Mass: National Bureau of Economic Research.

Woodford, Michael (2010): Simple analytics of the government expenditure multiplier. Cambridge, Mass: National Bureau of Economic Research.

Lieber Herr Sommer, Sie schreiben u.a.

“Auch so könnten Konjunkturpakete in der aktuellen Situation Einfluss auf das Wachstum haben: Durch die Verhinderung von negativen Effekten des anhaltenden Nachfrageeinbruchs auf das Wachstum.”

Das kommt auf den konkreten Fall an. Für mich klingt das in dieser allgemeinen Form eher nach einer keynesianischen Mogelpackung. Es wird eine kurzfristige Milderung durch eine nachfrageseitige Intervention versprochen, getarnt als Wachstumsimpuls. In Wahrheit werden damit meist überkommene Wirtschaftsstrukturen geschützt und erhalten, sodass der eigentlich nötige Strukturwandel oftmals verhindert oder verzögert wird.

“…in Verbindung mit kurzfristigen flankierenden fiskalischen Massnahmen zur Förderung der Konjunktur…, damit ohnehin konjunkturschwache Volkswirtschaften nicht noch zusätzlich durch massive Sparmassnahmen des Staates geschwächt werden.”

Wie gesagt: kurzfristig ja, d.h. wenn es nur um die Konjunktur geht; langfristig nein, wenn es um nachhaltiges Wachstum geht. Diesen Tradeoff zwischen kurzfristigem Feuerlöschen und langfristigen Strukturreformen im Hinblick auf Wachstum muss jedes Land politisch für sich entscheiden. — Langfristig sind Sparen und Wachstum jedenfalls definitiv kein Widerspruch. Echtes sparen und investieren sind Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum.

Sie verwenden den Begriff der entfesselten Märkte im medienüblichen Sinn, nämlich als etwas Verwerfliches. Ich denke, dass es die Mühe wert ist, den Kampf um diesen Begriff zu führen, denn er zementiert ein schädliches Zerrbild dessen, was ein Markt ist.

Der Wahrheit näher kommen wir, indem wir den Blick auf das Gegenteil richten. Was wäre denn das Gegenteil eines entfesselten Marktes? Ein gefesselter Markt! Ein Markt mit Regulierung, mit Monopolrenditen, Zielen fern der Kundenpräferenzen, mit hohen Preisen und Ineffizienz, mit Trittbrettfahrern und Insidern.

Schreiben wir also nur von Märkten in Fesseln! Benennen wir die konkreten Fesseln und zeigen wir ihre Konsequenzen auf! Dann wird auf die Dauer von alleine klar, dass eine Entfesslung von Märkten eine Verbesserung bringt, Verantwortung erzeugt, Effizienz herstellt, sich zum Sklaven des Kunden macht, so wie es sein sollte.

Die gängigen Begrifflichkeiten sind links unterminiert (“Rentenklau” et al), bis in die Spalten der NZZ hinein. Das muss ändern über ein wirtschaftsrevolutionäres Vokabular.

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