Der Wert des Schweizer Frankens steigt unaufhaltsam. Heute war ein Euro erstmals für 1.08 CHF zu haben. Die „magische Grenze“ von 1.40 CHF liegt weit hinter uns und die Frankenstärke beherrscht den Wirtschaftsteil der Presse. Denn es ist offensichtlich, dass ein derartiger Höhenflug über kurz oder lang Arbeitsplätze in der Exportwirtschaft kosten wird. Deshalb mehren sich die Stimmen, die einen Wechsel der Geldpolitik der Nationalbank (SNB) fordern. Welche Chancen und Gefahren hat ein solcher Wechsel?
Gemäss ihrem aktuellen geldpolitischen Konzept, welches seit dem Jahr 2000 in Kraft ist, verfolgt die SNB das Ziel der Geldwertstabilität, welche eine Inflationsrate zwischen 0 und 2% zulässt. Sie steuert das Zinsniveau auf dem Franken-Geldmarkt (3Mt-Libor) mittels Repo-Transaktionen. Dieses Instrument hat sich bislang bewährt und die SNB hat ihr Inflationsziel seit seiner Einführung nur äusserst selten verfehlt.
Aufgrund der Turbulenzen auf den Finanzmärkten und der starken Schweizer Wirtschaft ist nun aber der Wechselkurs aus dem Ruder gelaufen – und zwar ohne dass die Geldpolitik Fehler gemacht hätte. Im Gegenteil hat die im Vergleich mit dem Ausland tiefe Schweizer Inflation zur nominellen Stärkung unserer Währung beigetragen.
Wenn absehbar ist, dass unsere Wirtschaft aufgrund der Wechselkursentwicklung ohnehin Schaden nehmen wird, ist das kleinere Übel zu wählen. Dies könnte einen radikalen Politikwechsel bedeuten, der sowohl das Ziel als auch das Instrument betrifft.
Neu würde beispielsweise ein Wechselkursziel von 1.20 CHF pro Euro als Untergrenze festgelegt. Dieses wird erreicht, indem die SNB Euro gegen Schweizerfranken kauft. Letztere kann die SNB in prinzipiell unbegrenztem Umfang herausgeben, weil sie das Notenbankmonopol besitzt. Die Franken müssen nicht einmal gedruckt werden, wie man manchmal vernimmt, denn das geschieht auf elektronischem Wege. Das geldpolitische Instrument der Devisenmarktintervention ist altbekannt und wurde bei uns vor 2000 regelmässig eingesetzt (und einige andere Länder, die ihre Währung an den Euro gebunden haben, verwenden es heute ebenso). Die Erhöhung der Menge an Schweizerfranken im Markt führt unmittelbar zu einem Sinken des Preises, also zu einem tieferen Wechselkurs. Rein technisch gesehen, ist das Instrument direkt und einfach zu handhaben.
Die Crux liegt hingegen in zwei Bereichen. Erstens ist unklar, welche Währung anvisiert und welcher genaue Zielwert verfolgt werden soll. Euro oder Dollar? 1.20, 1.25 oder 1.30 CHF pro Euro? Je weiter der Zielwert vom aktuellen Wert entfernt liegt, umso stärker muss interveniert werden. Letztlich ist es eine Ermessensfrage, welchen Kurs unsere Wirtschaft längerfristig noch verträgt.
Zweitens muss das Wechselkursziel den Marktteilnehmern eindeutig kommuniziert werden und es muss zudem glaubhaft gemacht werden, dass die Notenbank alles tun wird, um das Ziel zu erreichen. Mehrdeutige Signale oder zögerliches Verhalten können verheerend sein. So lange die Marktteilnehmer nämlich nicht an den Willen zur Zielerreichung glauben, werden sie weiter Schweizerfranken kaufen und auf steigende Kurse spekulieren, was weitere Käufe von Fremdwährungen nötig macht.
Kann die Notenbank den Marktteilnehmern hingegen von Anfang an glaubhaft machen, dass sie unter allen Umständen am kommunizierten Wechselkursziel festhalten wird, lohnt es sich für die Marktteilnehmer nicht, auf weitere Kurssteigerungen zu hoffen, sodass das Ziel relativ bald und ohne exorbitante Käufe von Fremdwährung erreicht werden kann.
Da unsere SNB in der Vergangenheit meist glaubhaft agierte und die gesetzten Ziele auch erreichte, verfügt sie bezüglich Glaubwürdigkeit über eine gute Voraussetzung zur Erreichung eines Wechselkursziels.
Weil die Notenbank im Prinzip bereit sein muss, unbegrenzt eigene Währung in Umlauf zu bringen, ist der Übergang zu einem Wechselkursziel allerdings ein enormer Schritt, der viel Mut und Durchhaltewillen verlangt. Momentan ist unklar, ob die SNB hierüber verfügt und ob der Leidensdruck seitens der Wirtschaft bereits gross genug ist. Seit der Eurokurs nun unter 1.10 CHF liegt, hat dieser Druck deutlich zugenommen. Im Direktorium und im Bankrat der SNB läuten bereits die Alarmglocken, auch wenn man sie vielleicht von aussen nicht hört.
Doch welches sind die Kosten eines solchen geldpolitischen Kurswechsels?
Die Kosten einer zögerlichen Intervention am Devisenmarkt hat die SNB bereits im letzten Jahr kennen gelernt. Aufgrund der massiven Käufe von Euro, gefolgt von hohen Kursverlusten auf den Beständen, musste die SNB 2010 einen Verlust von ca. 26 Milliarden CHF in Kauf nehmen; vgl. Blogeintrag. Im ersten Semester 2011 betrug der Kursverlust nochmals 10 Mrd. CHF. Bei einer erfolgreichen Anbindung an den Euro, aufgrund eines expliziten Kursziels und einer glaubhaften Umsetzung, lassen sich solche Verluste allerdings stark begrenzen. Weil nämlich der Zielwert bei einem schwächeren Fankenkurs liegt als heute, entstehen bis zu dessen Erreichung zunächst Buchungsgewinne auf den bereits existierenden (Euro)Beständen. Anschliessend bleibt deren Wert stabil.
Das wohl grössere Problem besteht im möglichen Anstieg der mittelfristigen Inflation. Bereits seit Herbst 2008 wurde die Wirtschaft reichlich mit Geld versorgt, das nur teilweise wieder abgeschöpft wurde. Auch ohne den Übergang zu einem Wechselkursziel wäre eine weitere Abschöpfung von Liquidität zur Vermeidung von Inflation notwendig gewesen.
So steht die Nationalbank in diesen Tagen vor einer heiklen Abwägung. Einerseits entstehen beim heutigen Wechselkurs deutliche wirtschaftliche Schäden, deren langfristige Auswirkungen auf ganze Branchen (z.B. Maschinenindustrie, Tourismus) schwer abschätzbar sind. Andererseits ist dies gegen die negativen Folgen einer längerfristig anhaltenden Inflation abzuwägen.
Wie auch immer sich die SNB entscheiden wird, sie kann es nie allen recht machen und wird Vorwürfe für ein zu zögerliches oder zu spätes Handeln ernten. Geht sie allerdings davon aus, dass sich der Aufwertungstrend fortsetzt, sollte sie die Notbremse jetzt ziehen und den Politikwechsel unverzüglich umsetzen. Denn spätestens bei Parität mit dem Euro wird sie zum Eingreifen gezwungen sein – dann aber hoffentlich beherzt.