30.05.2011

Flexible Wechselkurse – klebrige Preise

An meiner Tankstelle herrscht fast jede Woche ein anderer Literpreis. Doch in vielen Märkten passen sich die Preise für Konsumgüter mit zeitlicher Verzögerung an. Im Fachjargon wird von „sticky prices“ gesprochen. Preisschilder und Preislisten sind oftmals vorgedruckt. Und die Anbieter zögern mit Preisanpassungen, vor allem nach unten.

Dabei gäbe es bei uns einigen Grund für Preissenkungen. Denn der Import von Waren aus dem Ausland wird aufgrund des starken Frankens immer günstiger. Im letzten Jahr sind alle wichtigen Währungen im Vergleich zum Franken schwächer geworden.; vgl. nachfolgende Graphik der Nationalbank (SNB).

Trotzdem sinkt der Preis vieler importierter Konsumgüter bei uns kaum. Besonders ausgeprägt ist dies bei Büchern und Zeitschriften, aber auch bei Kleidung zu beobachten. Hier wird oftmals mit antiken Wechselkursen gerechnet.

Beispielsweise wird eine Herrenhose in der Schweiz für 169 CHF verkauft, während sie in Deutschland nur 90 Euro kostet (siehe Bild oben). Nimmt man den aktuellen Wechselkurs von 1.22 CHF/Euro und berücksichtigt noch die Differenz der Mehrwertsteuer, kostet die Hose in Konstanz deutlich weniger als 100 CHF. Die Schweizer verlangen also etwa 70 Prozent mehr für das identische Kleidungstück.

Der Grund liegt zum einen darin, dass die Schweizer Firmen die Waren schon früher zu einem teureren Wechselkurs eingekauft haben und jetzt ihre Marge nicht verlieren möchten. Zum anderen liegt es aber auch an mangelndem Wettbewerb.

Markenprodukte, wie diese Hose, unterliegen oft einem kartellistischen Preisverhalten, indem vom Hersteller eine “unverbindliche Preisempfehlung” abgegeben wird, an die sich der Handel in aller Regel hält. Durch diese vertikalen Preisabsprachen – auch Preisbindung zweiter Hand genannt – wird der Wettbewerb behindert.

Immerhin können die Konsumenten hier einschreiten, und zwar indem sie im Ausland einkaufen. Was für Lebensmittel im grenznahen Bereich gang und gäbe scheint, wird sich wohl auch auf dauerhafte Konsumgüter wie Autos, Kühlschränke und Kleider ausweiten. Es ist höchste Zeit, dass die günstigeren Importpreise endlich an die Konsumenten weiter gegeben werden.

Wenn die Schweizer Exporteure unter dem starken Schweizer Franken leiden, sollen wenigstens die Konsumenten profitieren. – Und: ja, ich habe die Hose tatsächlich in Deutschland gekauft. Nicht nur eine…

Kommentare

Diesen Blog gelesen….
…haben auch die Redakteure des Schweizer Fernsehens. Heute brachte 10vor10 einen Bericht mit obigem Inhalt. Weitere Beispiele für “sticky prices” sind Autos (von BMW) und Möbel von Ikea.

Das schwedische Möbelhaus legt die Preise jeweils ein halbes Jahr zum voraus in Schweizerfranken fest und druckt diese im Katalog ab. Die Preise sind dann für ein ganzes Jahr fixiert. — Alternativ könnte man Preislisten verwenden, die regelmässig aktualisiert werden oder die Preise gleich in Euro notieren.* Dann würden die Kunden das Wechselkursrisiko tragen, was in den letzten Jahren einen Vorteil für die Kunden gebracht hätte, aber bei sinkendem Schweizerfanken auch ein Nachteil sein kann. Dieses System kennen wir ja von der Tankstelle.

Etwas ausführlicher wurde im Beitrag der Aspekt des mangelnden Wettbewerbs diskutiert. Insbesondere wurde auf die Behinderung von Parallelimporten durch starke ausländische Markenhersteller hingewiesen. Die Verpflichtung inländischer Detaillisten auf überhöhte Preise durch Generalimporteure ist ein bekanntes Übel, dem die Wettbewerbskommission gelegentlich zu Leibe rückt.

Allerdings nur bei marktbeherrschenden Unternehmen. Und der Nachweis, dass ein Unternehmen eine dominante Stellung inne hat, ist nicht immer einfach. Prof. em. Roger Zäch argumentiert im Studio, dass ein ausländischer Hersteller (wie z.B. Nivea) zwar nicht gegenüber den Konsumenten marktbeherrschend auftritt (weil diese auf andere Produkte ausweichen können), aber gegenüber den Schweizer Händlern eine solche Stellung haben kann. Vor diesem Hintergrund könnte die Wettbewerbskommission aktiv werden, wenn der ausländische Hersteller der Marke Wechselkursvorteile nicht weiter gibt.
Ob sich die WEKO auf diese Argumentation einlässt, ist für mich fraglich. Unser Wettbewerbsrecht ist nämlich nicht auf die Herstellung von Wettbewerb im allgemeinen, sondern die Bekämpfung marktbeherrschender Stellungen von einzelnen Marktteilnehmern ausgerichtet.

Am einfachsten wäre es, die Importe immer in Euro zu fakturieren, doch lässt sich dies wohl kaum allgemein durchsetzen. — Immerhin gibt es einen wichtigen Bereich, in dem dies der Fall ist und zwar bei den Mineralölprodukten. Schwankungen der Rohwarenpreise und der Wechselkurse werden hier viel direkter an die Konsumenten weiter gegeben, wobei man auch hier den Eindruck hat, dass Preisanstiege ihren Weg schneller an die Zapfsäulen finden als Preisabschläge.

Hier noch ein Trostpflaster für die Autofahrer: der Literpreis für das Benzin würde heute über 2 Franken betragen, wenn der Franken gegenüber dem US-Dollar nicht derart gestiegen wäre…

*Die Idee, in der Schweiz mit Euro zu zahlen, ist Gegenstand einer SDA-Meldung vom 12. August 2011. Wenn in manchen (grenznahen) Restaurants oder Migros-Filialen auf dem Kassenbon ein Euro-Preis steht und der Wechselkurs nicht den aktuellen Verhältnissen angepasst wurde, kann sich eine Bezahlung in Euro (sofern dieser gerade zur Hand ist) lohnen. — Allerdings wir der Euro nicht überall in der Schweiz akzeptiert und es reicht leider auch nicht, dass ein Euro-Preis angeschrieben ist, wie dies beispielsweise bei Zeitschriften und Büchern am Kiosk üblich ist.

… und die NZZ am Sonntag
…ist inzwischen auch dieser Meinung. Unter dem Titel “Schweizer Konsumenten sollen holen, was ihnen zusteht” findet sie, dass Schweizer Konsumenten noch viel mehr im Ausland einkaufen sollten. Dies nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch jenem der wirtschaftlichen Effizienz.

…und selbst der Wirtschaftsminister
Johann Schneider-Ammann hat Verständnis dafür, dass Schweizer Haushalte vermehrt im Ausland einkaufen.
…und erntet herbe Kritik für seinen “mangelnden Patriotismus” und sein Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft: 10vor10-Bericht

Preise weiterhin klebrig
Inzwischen ist das Thema ein Gemeinplatz. Die NZZ schreibt heute:

In der Schweiz sind die Konsumentenpreise im Juli leicht gesunken. Im Vergleich zum Juni beträgt das Minus 0,8 Prozent. Hauptgrund ist der Ausverkauf. Trotz starkem Franken profitieren die Konsumenten bei den Importen immer noch kaum von günstigeren Preisen.

Hallo Tilman
Zum Thema Sticky-Prices etc. habe ich etwas ganz interessantes gefunden… Es lässt mich seit Tagen nicht mehr los!

“Bitcoins”: Es handelt sich dabei um eine dezentral organisierte, anonyme Online-Krypto-Währung (also eine elektronische Währung mit der man im Internet anonym bezahlen kann) welche im Vergleich mit zentral organisierten, nationalen Währungen einige grundlegend verschiedene Eigenschaften aufweist.

Es gibt systemisch bedingt nur eine bestimmte Anzahl Bitcoins (21mio), die Menge wird NICHT reguliert oder durch Kreditvergabe aufgebläht, es existieren keine Zinsen. Das den Bitcoins gegenüberstehende Angebot ist jedoch (zumindest potentiell) nahezu unbegrenzt. Bitcoins können über spezielle Börsen zu absolut flexiblen Wechselkursen im Austausch gegen gängige Währungen erworben werden.
Da Waren jedoch nicht mit Hilfe von Bitcoins produziert werden (sie stammen ja, genau wie die Käufer der Waren, aus realen Volkswirtschaften mit eigener Währung) resultieren absolut flexible Preise, …

Aber: How to value Bitcoins the traditional way? Wie muss man sich den “Währungsraum-Internet” und/ oder “Bitcoin-Land” vorstellen um traditionelle Konzepte anwendbar zu machen, womit ist er/ es vergleichbar? Im Prinzip handelt es sich ja um eine Volkswirtschaft ohne Bürger mit ausgeglichener aber (vermutlich) wachsender Handelsbilanz und fixierter Geldmenge – einfach gesagt: Ein staatenloser Marktplatz mit eigener Währung, fixierter Geldmenge und theoretisch unendlich vielen ausländischen Käufern und Verkäufern…

Theoretisch müsste es ja so sein, dass der Wert eines Bitcoins (in Fremdwährung ausgedrückt) sich über den mittels Bitcoins erworbenen, in Fremdwährung gewichteten, Warenkorb geteilt durch die Anzahl Bitcoins multipliziert mit der Umlaufgeschwindigkeit der Bitcoins ermitteln liesse, um es mathematischer auszudrücken:

Wert eines Bitcoins in Fremdwährung =
(In Fremwährung gewichteter Wert des mittels Bitcoins erworbenen Warenkorbs) / (Anzahl Bitcoins*Umlaufgeschwindigkeit)

Oder um es mit den Buchstaben der quantitätstheorie auszudrücken:

Wert eines Bitcoins in Fremdwährung =
Y(in Fremdwährung)/M*V

Wenn man von konstanter Umlaufgeschwindigkeit sowie konstanten Wachstum von Y ausgeht, müssten Bitcoins ebenfalls stetig aufwerten…

Würden Sie da zustimmen?
Gruss

2 Fragen und 1 Antwort:

  • Warum verwendet jemand überhaupt Bitcoins?
  • Was hat das mit dem Thema “sticky prices” zu tun?
  • Wenn die Bitcoins vollständig in gängige Währungen konvertierbar sind und ihr Markt liquide ist, können sich die Bitcoins m.E. nicht ständig aufwerten, weil Arbitrage auftritt. Der beschriebene Effekt kann ev. entstehen, wenn nur Bitcoins für den Kauf bestimmter Güter zugelassen wären, zugleich die Menge dieser Güter wächst und Konvertierung ausgeschlossen ist (vgl. Aufgabe “Muschelgeld” in unseren Unterlagen). — Ansonsten sind Bitcoins nur eine der unzähligen Parallelwährungen im Internet, wie z.B. PayPal.

    Um anonym und ohne jegliche Kontrolle einer dritten Instanz Überweisungen durchzuführen.

    Der Markt auf dem man mit Bitcoins zahlen kann ist von flexiblen Preisen, also dem genauen gegenteil von sticky Prices, gekennzeichnet (- daher sollte doch gar kein arbitrage möglich sein?)

    Dennoch bleibt die Frage: welchen Wert haben Bitcoins?

    Bitcoins sind und werden keine Alternative für mich sein. Da fühlt man sich einfach sehr unsicher.

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