In Peking sind Verkehrswege knapp. Es herrscht permanenter Stau. Die Stadtverwaltung verlost deshalb neuerdings die Autonummern. Gemäss NZZ bewarben sich letzte Woche bei der ersten Pekinger Nummernschild-Lotterie 210′000 Interessenten um 17′600 Neuzulassungen. — Für die Zuordnung (sog. Allokation) der knappen Strassenkapazitäten wurde hier ein Mechanismus gewählt, der in empirischen Untersuchungen relativ schlecht wegkommt, weil er als unfair empfunden wird.
Für die Allokation knapper Mittel oder Güter existieren vier unterschiedliche Mechanismen.
- Markt
- administrative Zuteilung
- Frist-come-first-served
- Zufall
Steigt die Knappheit, steigen auch die Preise — das ist die Marktlogik. Die Zuordnung erfolgt via Preis an die Nachfrager mit der höchsten Zahlungsbereitschaft. Beispielsweise könnten die Zulassungen in Peking versteigert werden.
Die anderen Mechanismen führen hingegen nicht zu Preisänderungen. Bei administrativer Zuteilung, bestimmen der Staat oder die Verwaltung (meist anhand bestimmter Kriterien), wer das knappe Gut erhält. Die Vergabekriterien können ganz unterschiedlich sein, z.B. Geschlecht, Alter, Bedürftigkeit und je nach Gut variieren.
Bei der Variante “Frist-come-first-served” hat es, solange es hat, d.h. es bildet sich eine “Schlange”, die gemäss faktischer Verfügbarkeit bedient wird. Hier bekommt derjenige das knappe Gut, der sich zuerst darum bemüht, bzw. der die Zeit aufbringt, um in der Schlange zu stehen, falls es sich um eine physische Warteschlange handelt (sog. Warteschlangenrationierung). Im früheren Ostblock gab es professionelle Schlangesteher, z.B. Rentner, die sich für andere Leute in die Reihe stellten, um ein Zubrot zu verdienen.
Die Allokation kann schliesslich dem Zufall überlassen werden, indem das knappe Gut beispielsweise verlost wird, wie im Beispiel aus Peking.
Fairness?
Interessant ist nun, dass diese 4 Allokationsmechanismen nicht nur unterschiedlich effizient sind, sondern bezüglich ihrer Fairness unterschiedlich beurteilt werden. In empirischen Untersuchungen wurden Menschen gebeten zu beurteilen, wie fair sie die Mechanismen einschätzen.
Dabei wurden konkrete Beispiele vorgelegt, wie etwa die Knappheit von Schneeschaufeln nach einem Schneesturm oder von Wasser an einem heissen Tag. Beim Marktmechanismus steigen die Preise von Schneeschaufeln oder Wasser mit der Knappheit, bei den anderen Mechanismen nicht. Ist das fair?
In einer Studie für die Schweiz fanden Frey und Gygi (1988, S. 527) aufgrund einer telefonischen Befragung folgende Reihenfolge bezüglich der Fairness:
- Frist-come-first-served (= am fairsten)
- administrative Zuteilung
- Markt
- Zufall (= am wenigsten fair)
Die Autoren finden, dass diese Reihenfolge weitgehend unabhängig vom gewählten Beispiel ist und auch andere Studien kommen zu ählichen Resultaten. Der Markt wird oft als eher unfair angesehen, während die ersten beiden Mechanismen relativ gut wegkommen.
Allerdings kann hier auch die Einstellung zum Staat eine Rolle spielen. Wo die Bevölkerung schlechte Erfahrungen mit staatlicher Zuteilung gemacht hat (z.B. wegen korrupten Beamten), wird dieser Mechanismus eventuell als wenig fair beurteilt. Kulturelle oder gesellschaftliche Einflüsse und Prägungen sind also nicht auszuschliessen.
Bemerkenswert scheint mir, dass eine zufällige Zuteilung von vielen Befragten als vergleichsweise unfair empfunden wird. Erhält jemand ein knappes Gut einzig aufgrund des Glücks, hat er weder mehr bezahlt als andere, noch hat er bestimmte Kriterien erfüllt oder sich besonders angestrengt, indem er vor den anderen da war. Dies scheint gemäss den Studien eine Rolle zu spielen.
Aber vielleicht liegen die Dinge in China anders. Der Zufall könnte hier anders beurteilt werden, als bei uns. Die Pekinger Nummernschild-Lotterie ist jedenfalls gestartet. — Und auch in den USA hat eine Lotterie schon Tradition: die jährliche Verlosung von 50′000 permanenten Aufenthaltsbewilligungen, sog. Green Cards. Wer eine solche für 2012 gewinnen will, kommt allerdings zu spät, die Anmeldefrist ist schon abgelaufen; siehe Diversity Visa Lottery Program der US-Immigrationsbehörden.
Literatur:
Kahneman, Daniel / Knetsch, Jack/Thaler, Richard (1986): Fairness as Constraint on Profit Seeking: Entitlements in the Market, American Economic Review 76 (Sept.), 728-741.
Frey, Bruno S. / Gygy, Beat (1988): Die Fairness von Preisen, Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, Heft 4/1988, 519-541.
Konow, James (2003): Which Is the Fairest One of All? A Positive Analysis of Justice Theories, Journal of Economic Literature, Volume 41, Number 4, 1 December 2003 , 1188-1239.