Das Departement von Bundesrätin Doris Leuthard (UVEK) hat letzte Woche zwei Initiativen lanciert, die zu reden geben. Zum einen soll die Mobilität im Lande schrittweise verteuert werden. Zum anderen soll der Zersiedelung des Landes durch striktere Raumplanung und verstärkte Koordination Einhalt geboten werden. Beides hat ganz zentral mit Ökonomie zu tun.
Die Mobilität der Schweizer ist hoch und steigend. Wohnen, Arbeit und Freizeit finden an unterschiedlichen Orten statt. Im Fachjargon wird von einer „räumlichen Entmischung“ der Lebensbereiche gesprochen, die einerseits durch verbesserte Transportmöglichkeiten genährt wird, zugleich aber auch zu steigenden Mobilitätsansprüchen führt. Bislang wurden diese durch einen Ausbau der Infrastruktur zu bewältigen versucht. Mehr und schnellere Bahnverbindungen, mehr Tunnels und breitere Autobahnen lautete das zentrale Rezept.
Dass dieses an seine Grenzen stösst, wird allmählich klar. Denn die Infrastrukturkosten führen zu Defiziten (v.a. im öffentlichen Verkehr) und aufgrund der Platzverhältnisse sind die Ausbaumöglichkeiten vor allem in den verkehrsmässig ohnehin belasteten Agglomerationen begrenzt.
Mehr Bahnen und Strassen liefern also weder finanziell, noch technisch eine nachhaltige Lösung. Das hätte man schon längst erkennen können, denn es gelten zwei Gesetzmässigkeiten des Verkehrswesens:
- Engpässe in Verkehrswegen lassen sich nie beheben, sondern immer nur verlagern.
- Die Wegzeiten und Distanzen der Tagesmobilität nehmen zu.
Das erste Phänomen kennen viele Pendler aus eigener Anschauung. Sobald ein Flaschenhals – wie der Baregg- oder der Gubristtunnel – beseitigt wird, kommt es an einem anderen Ort zu Staus. Mittelfristig ändern die Autofahrer zudem ihr Verhalten (wozu auch die Wahl von Arbeits- und Wohnort zählen), sodass der Stau oft früher oder später wieder zurück kommt. – Freie Fahrt lockt stets neuen Verkehr an.
Gemäss Statistik haben von 1984 bis 2005 sowohl die mittlere Tagesdistanz (von 30 km auf 40 km) als auch die Wegzeit (inkl. Wartezeit, von 70 auf 100 Minuten) zugenommen. Betrachtet man den Verkehrszweck, fällt auf, dass vor allem die tägliche Freizeitmobilität der Gesamtbevölkerung stark gestiegen ist. Bei den Erwerbstätigen nahmen Zeitbedarf und Distanzen der Arbeitswege zu; vgl. BfS.
Erwerbstätige scheinen bereit zu sein, bis zu etwa einer guten Stunde für das Pendeln je Weg und Tag in Kauf zu nehmen. Dies gilt fast unabhängig von der Verkehrsanbindung und hat zur Folge, dass sich die Reisedistanzen ausdehnen, wenn die Reisegeschwindigkeit bzw. Erreichbarkeit verbessert wird. Schnellere Züge und breitere Strassen beseitigen Engpässe auch deshalb oft nur vorübergehend.
Würde beispielsweise die Reisezeit zwischen Zürich und Bern auf 30 Minuten gesenkt, könnte dies die „Zupendler-Reichweite“ von Bern bis nach Winterthur oder gar bis nach Chur erweitern (sofern Chur – Zürich in 30 Minuten machbar wäre). Berner Beamte, die heute als Wochenaufenthalter in der Hauptstadt tätig sind und die Züge am Montag Morgen und Freitag Nachmittag scharenweise beleben, würden den Weg aus dem schönen Bündnerland oder anderen Ecken der Schweiz dann täglich unter die Räder nehmen können.
Der Ausbau der Zürcher S-Bahn hat es möglich gemacht, täglich bequem von Uster ins Zentrum von Zürich zu pendeln (vgl. Karte der Pendlerströme Zürich). Dies hat auch Folgen für die Siedlungsmuster, vor allem in den Agglomerationen, worauf ich noch eingehen werde.
Aus obigen Aspekten ergibt sich, dass eine Erhöhung der Verkehrskapazitäten die Mobilität steigert, aber generell nicht zu einem Verschwinden der Verkehrsprobleme führt. Kapazitäten, Mobilität und Kosten steigen im Gleichschritt. – Allerdings muss ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden, nämlich der Preis der Mobilität.
Obwohl manchen Reisenden die Preise für Benzin und Billette heute schon hoch erscheinen mögen, ist sich die Fachwelt darin einig, dass weder Schiene noch Strasse all ihre Kosten decken. So wird der öffentliche Verkehr von Bund, Kantonen und Gemeinden jährlich mit etwa 6 Milliarden Franken aus Steuergeldern subventioniert. Gemäss einer Studie der SBB müsste z.B. ein Erstklass-Generalabonnement gegen 10‘000 Franken kosten, um kostendeckend zu sein; vgl Tagesanzeiger. Die zu tiefen Fahrpreise erhöhen die Nachfrage nach Mobilität massiv (*), was wiederum erhöhte Infrastruktur- und Betriebskosten nach sich zieht.
Beim Strassenverkehr ist die Lage in sofern etwas anders, als dieser seine internen Kosten durch Mineralölsteuern, Motorfahrzeugsteuern, Autobahnvignette und Schwerverkehrsabgaben (LSVA) weitgehend deckt. Nicht gedeckt sind hingegen die externen Kosten des Strassenverkehrs, welche von der Allgemeinheit getragen werden und auf etwa 5 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt werden.
Wie ich 2005 in der NZZ ausführlicher dargelegt habe, trägt sowohl der Schienenverkehr, als auch der Strassenverkehr die entstehenden Kosten nur unvollständig, sodass vom Missstand der subventionierten Mobilität gesprochen werden kann. Damals habe ich die alte Forderung der Verkehrsökonomen nach „Kostenwahrheit im Verkehr“ aufgegriffen und eine Stärkung der Nutzungsgebühren gefordert.
«Im Hinblick auf die Engpässe im Agglomerationsverkehr bedeutet dies …, dass nur solche Systeme eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entwicklung erlauben, die durch eine Erhebung von Gebühren direkt bei den Nutzern und zu Preisen, die auch die negativen externen Wirkungen berücksichtigen, finanziert werden. Wer aufgrund seiner Wahl von Arbeits- und Wohnort eine bestimmte Strasse oder Bahn zur Stosszeit benutzen will, verursacht Stau- und Infrastrukturkosten, die massgeblich durch andere getragen werden. Würden diese Kosten auf die Preise überwälzt, indem die Verursacher der temporären Spitzenlast zur Kasse gebeten werden («peak-load pricing»), käme es zu einer zeitlichen Glättung der Nachfrage nach Verkehrsleistungen und zugleich zu höheren Einnahmen.»
Dieser für Ökonomen alte Hut wurde nun am Freitag vom Verkehrsdepartement (UVEK) teilweise aufgenommen. Die drohende Finanzierungslücke bei den Strassen soll durch Einnahmenerhöhungen bei den Mineralölsteuern und der Vignette geschlossen werden und auch bei den Billetten soll es weitere Erhöhungen geben ; vgl. Bericht auf SF . Auch sollen zusätzliche Beiträge an Eisenbahngrossprojekte geleistet werden. Vom «peak-load pricing» war allerdings nichts zu hören.
Erwartungsgemäss fiel die Reaktion eher negativ aus. Im Boulevardblatt Blick war vom „Abzocker-Staat“ die Rede und die Leserbeiträge in der Printausgabe (die mir rein zufällig ! in die Hände fiel) lassen auf grosses Unverständnis in der Bevölkerung schliessen.
Pendler, die auf dem Land wohnen, sind schliesslich auf günstige Mobilität angewiesen und können sich weder teures Benzin, noch eine Wohnung in der Stadt leisten. Uneingeschränkte und kostengünstige Mobilität wird zu einer Art Menschenrecht erhoben.
Zwar ist diese Haltung in der gegebenen Situation verständlich, doch wird dabei verkannt, dass die heutige Situation – d.h. insbesondere der „Zwang zur Mobilität“ aufgrund der Entmischung der Lebensbereiche – erst durch eine an ihren Kosten gemessen zu günstige Mobilität herbeigeführt wurde. Wie so oft werden Ursache und Wirkung verwechselt und die Entwicklung, welche zum heutigen Zustand geführt hat, wird verkannt. Es wird eine schwierige und langfristige Aufgabe der Politik sein, die Zusammenhänge sachgerecht zu vermitteln und das richtige Rezept umzusetzen. Dieses lautet: Mehr Ökonomie statt einfach nur mehr Strassen und Schienen!
Siedlungspolitik
Dieses Rezept lässt sich in gewissem Sinne auch auf den zweiten Problembereich, die Siedlungspolitik, übertragen. Denn auch beim Problem der Zersiedelung kann die Ökonomie einen Beitrag liefern.
Wie angedeutet, hat die verkehrstechnisch verbesserte Erreichbarkeit der Zentren das Wohnen in den Agglomerationen und damit die Bautätigkeit verstärkt. Zusammen mit dem Verkehr wuchsen die Bauzonen und Wohngebiete. Deren Ausbreitung entlang der Verkehrsadern lässt sich bei neuen S-Bahnen, wie bei Autobahnen sehr leicht nachvollziehen, beispielsweise im Knonaueramt durch dessen Erschliessung mit der S-Bahn 9 und der Autobahn A4. – Wer die Schweiz von Ost nach West durchquert, erhält zunehmend den Eindruck einer „Agglomeration Mittelland“, in welcher die Orte immer mehr zusammenwachsen. Angeblich wird jede Sekunde ein Quadratmeter Boden überbaut.
Der Bund stellt deshalb nun ein neues «Raumkonzept Schweiz» vor, das auf eine dichtere Bebauung in den bestehenden Gross-Agglomerationen (Bern, Basel, Zürich, Genferseebogen) ausgerichtet ist. Das Konzept soll helfen, dem „knappen Gut Boden Sorge zu tragen“ und aufzeigen, wie mit ihm „haushälterisch umgegangen“ werden kann, verkündet Bundesrätin Leuthard vor den Medien.
Hierzu ist zweierlei zu bemerken. Die Raumplanung ist zunächst ein wichtiges gesellschaftliches Instrument zur Beeinflussung der Siedlungsstrukturen. Weil die Bautätigkeit verschiedene externe Effekte mit sich bringt (u.a. bezüglich des Landschaftsbilds) und ohnehin ein kollektives Koordinationsmittel notwendig ist (z.B. in den Bereichen Verkehr, Energie, Abwasser etc.), kann eine gewisse Raumplanung auch ökonomisch gerechtfertigt werden. Ein laissez-faire bei der Bebauung wäre nicht sinnvoll.
Bezüglich der mit dem «Raumkonzept Schweiz» angestrebten Ziele hingegen, ist ein im Rahmen der Raumplanung möglichst freier Grundstücksmarkt wünschenswert. Es gibt keine Institution, die der knappen Ressource Boden besser Sorge trägt und den haushälterischen Umgang mit ihr stärker fördert, als der Markt.
Wenn wir heute kollektiv der Meinung sind, dass die Schweiz zu schnell überbaut wird und wenn inneres Wachstum der Bauzonen oder verdichtetes Bauen gefordert werden, bedeutet dies ökonomisch gesehen nichts anderes, als dass die Bodenpreise bislang zu tief sind.
Die verpönte Bodenspekulation und das Horten von Land zwingen die Landbesitzer und Bauherren zu haushälterischem Umgang mit der knappen Ressource. Spekulanten setzen auf künftig steigende Preise und treiben diese damit selbst in die Höhe. Sie berücksichtigen damit nicht nur die aktuellen, sondern auch die zukünftigen Knappheiten, die nunmehr bereits in den heutigen Preisen reflektiert werden.
Zwar verteuert Spekulation die heutigen Mieten, doch sie führt auch dazu, dass unbebauter Boden für die Zukunft noch vorhanden ist. Und selbst wenn es zu Spekulationsblasen beim Boden kommt, ist dies gesellschaftlich langfristig kaum problematisch. Denn der Boden verdirbt nicht, er wird aufgrund übertriebener Preise dichter oder vorerst gar nicht bebaut. Dafür steht er künftigen Generationen noch zur Verfügung.
Einen Hinweis darauf, dass Boden tatsächlich eher günstig ist, liefert seine Nutzung. Der grösste Teil der Siedlungsfläche dient dem Wohnen. Die Zunahme der Siedlungsfläche beruht nicht nur auf dem Bevölkerungswachstum, sondern auch auf einem Anstieg des Wohnraums pro Person. Zum einen leben wir in immer grösseren Wohnungen und zum anderen in immer kleineren Haushalten. In Drei-Zimmer-Wohnungen, die früher von einer Familie mit Kindern bewohnt wurden, leben heute oftmals Singles. Ältere Personen wohnen oft weiterhin allein oder als Paar in der ehemaligen Familienwohnung, nachdem die Kinder ausgeflogen sind.
Dieses Verhalten fordert Wohnraum, sprich Boden, doch wir können es uns aufgrund der günstigen Bodenpreise leisten. Ein guter Teil des Wirtschaftswachstums der vergangenen Dekaden floss nämlich nicht in zusätzliche Lebensmittel oder mehr Kleider, sondern in zusätzlichen Wohnraum und in die Mobilität. Die geschilderten Probleme beim Verkehr und Landverbrauch sind nur die logische Folge dieser Entwicklung. – Trotzdem möchte wohl niemand zurück in die 50er oder 60er Jahre, als die Schweizer mit mehr Personen in kleineren Wohnungen lebten und sich nur wenige den Luxus eines Autos oder Einfamilienhauses leisten konnten.
Ökonomisch gesehen scheint deshalb klar: die Preise für Mobilität wie für Boden sind heute zu tief und müssen steigen, um die effektiven Knappheitsverhältnisse zu reflektieren. Tun sie dies, lenken sie unser Verhalten (fast) automatisch in die gesellschaftlich optimale Richtung.
*) Hinweis für Studierende: Gemeint ist hier ein Anstieg der nachgefragten Menge im Sinne einer Bewegung entlang der Nachfragekurve, nicht eine Verschiebung der Nachfragekurve selbst. Letztere ergibt sich etwa durch steigende Einkommen oder verbesserte Verkehrsanbindungen.
Nachtrag
Am 30. Jan. 11 hat die NZZ am Sonntag eine Artikel mit ähnlichem Grundtenor veröffentlicht. Die Schweizer wurden jahrzehntelang zum Pendlertum erzogen… Hier die beiden Seiten zum Nachlesen: Pendler-Zuerich-NZZaS-Jan11a.pdf / Pendler-Zuerich-NZZaS-Jan11b.pdf