Universität St.Gallen

                                      Teil 2 des HSG-Interviews mit Prof. Dr. Slembeck zum Bidding-System

                             Wie wichtig ist aus verhaltensökonomischer Sicht der Faktor Zeit, wenn Menschen Entscheidungen
                             treffen?

                             Also ich würde sagen das hängt sehr stark von der Aufgabe ab, also vom Task, wie man auf Englisch
                             sagt. Es ist zwar vernünftig, wenn die Leute Zeit haben, sich über das Angebot zu informieren. Beim
                             Bidding nimmt der Grenznutzen der Zeit aber ganz klar ab. Wenn wir jetzt mal von rationalen Studenten
                             ausgehen – was ich gerne würde (lacht) – ist von Anfang an das strategische Element da. Sich eine
                             weitere Woche zu besprechen und Gerüchte zu verbreiten oder strategische Verwirrspiele zu betreiben
                             hat kaum einen grossen zusätzlichen individuellen Nutzen.

                            Diese Metaebene – die Gespräche und sozusagen das psychologische Umfeld – kann das Ergebnis also
                             nicht wesentlich beeinflussen?

                             Doch schon, aber es ist halt die Frage, wie wahr die Information ist, die man bekommt – es gibt ja
                             unterschiedliche Qualitäten von Informationen. Das Ganze ist aber ein interessanter Lernprozess an
                             sich – das möchte ich schon betonen. Die Studierenden lernen bei diesem ganzen Verfahren, wie ein
                             solcher Zuteilungsprozess abläuft und dass es dabei eben zu strategischen Handlungen und zu
                             strategischer Informationsverwendung kommt.

                             Ökonomen sind in ihren Ansichten und Prognosen ja oft verschiedener Meinung – gibt es denn die eine
                             richtige, wahre Bidding-Strategie oder scheiden sich hier die Geister ähnlich wie an
                             Konjunkturprognosen?

                             Ich denke nicht, dass es viele verschiedene Ansichten geben würde, aber das Problem ist einfach sehr
                             komplex. Die Problemstellung "Bidding" ist analytisch hoch komplex.

                             Zum Begriff der Komplexität ein Beispiel: Schach ist einerseits sehr simpel und andererseits sehr
                             komplex. Schach ist von daher ein völlig simples Spiel, als dass es ganz klar ist, welche Züge man
                             machen kann. Es gibt keine fundamentale Unsicherheit, es gibt keine Zufälle beim Schach. Es ist von
                             vorne herein definiert, welche Figuren es gibt, wie gross das Spielfeld ist und welche Züge erlaubt sind.
                             Insofern ist Schach ein einfaches Spiel. Das einzige Problem beim Schach ist: Der Spielbaum ist fast
                             unendlich gross, denn es gibt etwa so viele Spielvarianten wie Atome im Weltall. Analytisch ist das aber
                             im Prinzip kein Problem, - es gibt nur keinen Rechner, der bis jetzt den Spielbaum des Schachs mit allen
                             Varianten und jedem Knoten durchrechnen kann.

                             Ist das Bidding also auch ein komplexes Spiel?

                             Ja. Es ist ein sehr kompliziertes Schachspiel. Wenn man über alle Leute alles wüsste, wäre es relativ
                             einfach. Wenn ich die Präferenzen aller anderen kennen würde, dann wäre das eigentlich analytisch nicht
                             schwierig - zumindest solange sich alle streng gemäss ihrer Präferenzen verhalten und eben nicht
                             strategisch handeln.

                             Angenommen Sie wären Student der Studienordnungen 01/02 an der HSG. Welche Strategie würden Sie
                             bei der Vergabe Ihrer tausend Punkte wählen und aufgrund welcher Prinzipien würden Sie Ihre
                             Entscheidungen treffen?

                             Ich denke, die wichtigste Entscheidungsgrundlage ist zunächst einmal, dass man sich über seine
                             eigenen Präferenzen im Klaren ist. Wenn man nicht weiss, was man will, dann kann man nicht rational
                             bieten. Eine Reihung der Kurse nach Präferenzen bildet eine gute Ausgangslage für eine individuelle
                             Analyse. Als zweites wird dann die strategische Analyse draufgesetzt: Jetzt muss ich überlegen, wie weit
                             meine Präferenzen vermutlich mit denen der Mitstudierenden übereinstimmen. Dazu muss man sich in
                             die Situation anderer versetzen.

                             Die Psychologie hat erkannt, dass es für Menschen sehr schwierig ist, sich gedanklich von anderen
                             differenzieren zu können. Man hat typischerweise die Neigung zu glauben, andere seien so wie man
                             selbst. "The curse of knowledge" nennt man das. Dazu gibt es ein klassisches Beispiel aus der
                             Psychologie: In den USA wurden Studenten fünf Dollar dafür geboten, versehen mit einem Schild "Eat at
                             Joe's" auf dem Campus herumzulaufen (und sich somit vielleicht lächerlich zu machen). Diejenigen, die
                             das wirklich gemacht haben, waren bei der Einschätzung anderer viel zu optimistisch – sie haben mit
                             grösserer Wahrscheinlichkeit angenommen, dass andere das auch machen würden, als das wirklich der
                             Fall war. Die dachten sich: Ich mach das ja selbst, das heisst die meisten anderen werden das auch
                             machen. Für die war es also auch schwierig, sich in die Situation von anderen zu versetzen, die es nicht
                             gemacht haben.

                             Das heisst es stellt auch hier beim Bidding ein zentrales Problem dar, die Situation anderer gegenüber
                             der eigenen abzuwägen?

                             Das Problem besteht darin, die Situation realistisch einschätzen zu können, insbesondere mit der vielen
                             Information, die herumschwirrt. Exoten werden ihre Präferenzen natürlich eher durchkriegen als der
                             Durchschnittsmensch – wenn ich halt eher exotische Präferenzen habe, für Sachen, die nicht alle wollen,
                             dann krieg ich die Sachen wahrscheinlich zu einem sehr günstigen Preis.

                             Das heisst: Erster Punkt: Eigene Präferenzen festlegen. Zweiter Punkt: Abschätzen, wie sie im
                             Gegensatz zu andern zu bewerten sind. Wie steht es mit weitern konkreten Schritten?

                             Ja, wenn ich dann das Gefühl habe, meine erste Präferenz ist etwas, was vermutlich viele andere auch
                             wollen, dann muss ich mir überlegen: Wie stark ist meine Präferenz? Ist es mir das wert, dort viele
                             Punkte einzusetzen und die für anderes nicht einzusetzen? Und so kommen wir zu den
                             Opportunitätskostenüberlegungen. Je höher meine Präferenz, desto höher die Opportunitätskosten.
                             Meine Top-Präferenz muss ich also wirklich gut hinterfragen. Neben den Präferenzen für die Kurse
                             spielen auch die persönlichen Risikopräferenzen eine Rolle – wie sicher ich den Kurs haben will, wie weit
                             ich also vorsichtshalber einen rationalen Wert überbiete.

                             Welche grossen Themenbereiche der Ökonomie schneiden wir Studenten also zusammenfassend an,
                             wenn wir bidden?

                             Eigentlich alle: Wir haben den Markt als Allokationsverfahren, den Ausdruck von Präferenzen über
                             Preise, wir haben den Tradeoff, also den klassischen Zielkonflikt, wir müssen mit eingeschränktem
                             Budget nutzenmaximierend umzugehen, wir haben die Opportunitätskosten – die ganzen grundlegenden
                             Dinge der Ökonomie sind alle in diesem Bidding-Verfahren drin, ganz klar.

                             Wunderbar. Danke für das Gespräch.

                             Gern geschehen.
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